Litauen - Lettland - Estland - drei Länder jedes ungefähr so groß wie Bayern, jedes mit einer Einwohnerzahl von nur 1,4 Mio (Esten) bis 3,5 Mio (Litauen) Menschen – und trotzdem ist untereinander eine Verständigung kaum möglich, denn jedes Volk spricht seine eigene Sprache: die Letten und Litauer eine indogermanische, die Esten eine finno-ugrische. Russisch hingegen verstehen alle , denn diese Sprache mussten die Menschen in der Zeit der Sowjetrepubliken lernen und auch sprechen – sie war Amtssprache.
Das ist eine Gemeinsamkeit, die sich allerdings mit der Freiheitsbewegung seit Mitte der 80er Jahre und seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1991 verändert hat. Viele besonders junge Balten verstehen und sprechen heute Englisch.
Die geschichtliche Vergangenheit, besonders die Zeit unter sowjetischer Besatzung , führte uns unsere lettische Reiseleiterin Elga sehr anschaulich vor Augen und ließ uns durch ihre Erzählungen spüren, wie die baltische Bevölkerung im friedlichen Kampf – z.B. mit 600 km langen Menschenketten von Vilnius bis Tallin und auch mit Sängerfesten, bei denen sich mehr als 300 000 Menschen versammelten und von den Sowjets verbotene Lieder sangen - den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit errungen hat.
Von Vilnius über Riga bis Tallin ist auch unsere Reisegruppe gereist und hat drei unterschiedliche Städte, aber eine Landschaft mit vielen Gemeinsamkeiten erleben können.
Vilnius, die Hauptstadt Litauens, könnte man als die 'Stadt des Barocks 'bezeichnen, denn viele Kirchen, verwinkelte Gassen und Innenhöfe machen den Charme dieser Stadt aus.
Die lettische Hauptstadt Riga gilt als die 'Stadt des Jugendstils': ganze Straßenzüge mit Häusern, deren Fassaden üppig mit Skulpturen und Ornamenten verziert waren, hinterließen bei uns, die wir ja aus der Stadt des Jugendstils kommen, einen überwältigenden Eindruck.
Beim Rundgang durch Estlands Hauptstadt Tallin, zu Zeiten der Hanse entstanden, fühlten wir uns fast ins Mittelalter versetzt: große Teile der Stadtmauer mit gewaltigen Wehrtürmen und wunderschöne Gildenhäuser sind erhalten geblieben, enge Gassen mit Kopfsteinpflaster mündeten auf dem riesigen Rathausplatz mit einer der ältesten Apotheke der Welt.
Während in den drei Hauptstädten das Leben pulsierte und ganz besonders Tallin von Touristen überquoll, war es auf unseren Überland-Fahrten eher ruhig und beschaulich. Unendlich weite Landschaft mit Feldern, Wiesen, Birken- und Kieferwäldern, Seen und Sümpfen zogen an uns vorbei – an vielen Tagen gekrönt von einem klaren blauen Himmel mit typischen Cumulus-Wolken. Störche flogen über uns hinweg oder fütterten ihre Jungen in ihrem Nest. Unberührte Natur – pur!
Zur Besichtigung von Ordensburgen, Schlössern, Naturparks und Museen unterbrachen wir unsere Fahrten: Wasserschloss in Trakei, Burgreste in Kaunus. Die Kuhrische Nehrung mit riesigen Wanderdünen, stillen Wäldern und leeren, kilometerlangen Sandstränden zog uns in ihren Bann. Genauso beeindruckend waren im Bernstein-Museum die ca. 50 Millionen Jahre alten Lebewesen in dem 'baltisches Gold' genannten versteinerten Harz. Thomas Manns Ferienhaus in Nida, die Wanderung auf den Hexenberg sowie 'das Ännchen von Tharau' in Klaipeda und schlussendlich der 'Berg der Kreuze', der für das katholische Litauen schon immer ein magischer Ort des Glaubens, aber auch des Nationalbewusstseins war, rundeten unsere Eindrücke in diesem ersten Land ab.
In Lettland konnten wir Schloss Rundale mit seinen prachtvollen Sälen und dem französischem Landschaftspark bei strahlendem Sonnenschein genießen, während die Besichtigung der Burg Turaida im Gaujo-Nationalpark durch strömenden Regen etwas getrübt war.
Estland hat 1.500 Inseln. Wir besuchten Saaremaa, die größte, und genossen noch einmal die Ostsee. Auch hier wieder Natur - pur – und als Besonderheit: große Wacholderwälder. Der Metoritenkrater bei Kaali auf der Saaremaa vorgelagerten kleineren Insel Muhu sowie das Fühlen eines Eisen-Meteoriten-Bruchstückes ließ nicht nur das Herz der Naturwissenschaftler unter uns höher schlagen. Mit viel Energie aufgeladen ging es dann am letzten Tag unserer insgesamt ca. 2000 km langen Reise in Richtung Nordosten Estlands, in den Nationalpark Lahemaa. Wir durchschritten die schlossähnlichen Herrenhäuser und weitläufigen Parks der Güter von Palmse und Sagadi und tauchten ein in die Lebensweise des deutschbaltischen Adels. Die Familien von der Pahlen und von Fock, die bis zu 11.000 ha große Ländereien besaßen und bewirtschaften ließen, waren nur zwei von etwa 200 deutschbaltischen Familien, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum 1.Weltkrieg in Nordestland lebten.
Bei einem letzten Spaziergang an der buchtenreichen Ostseeküste entspannten wir uns und konnten - wie auch schon andernorts - beobachten, dass an vielen Stellen die Holzscheite für die Feuer aufgebaut waren, denn bald – ab dem 21.Juni – werden die Balten die Mitsommernacht feiern. Dieses jahrtausendealte Sonnenwendfest ist das größte Volksfest und, neben Weihnachten, der wichtigste Feiertag des Jahres. Vier Tage lang werden die Balten ausgiebig feiern, wie uns Elga versicherte. Schlafen wird dann kaum einer, denn – so der Volksglaube – wer in der magischen Nacht die Augen vor Sonnenaufgang zumacht, handelt sich Unglück ein.
Zwar war es uns nicht vergönnt, dieses Fest mit den Balten zu feiern, wir hatten aber in jeder Nacht auf unserer Reise die 'weißen Nächte', in denen es nicht dunkel wird, erleben können.
Auf dem angenehmen Rückflug von Tallin nach Frankfurt waren wir noch stark mit unseren Eindrücken beschäftigt, die uns sicher noch lange in Erinnerung bleiben werden.
Unsere Reisegruppe dankt nochmals ganz herzlich unserem Reiseleiter, Helmut Damm, dass er uns sicher und souverän und immer unterstützend, wo es nötig war auch in russischer Sprache, begleitet und gesund wieder nach Hause geführt hat.
Text: Margit Monka-Schmelz
Fotos: Ulrike Poppensieker