Bericht eines Pilgers von geringem Glauben

170 salamancaWanderer, kommst Du nach Salamanca, dann hast Du Sevillas königlich-katholische Prunksucht und maurische Wasserverschwendung gesehen, hast den Flamenco erlebt und Hitze, Staub, Schweiß und endlose Weite der Extremadura ertragen; und wirst plötzlich von der spanischen Peripherie in ein europäisches Kulturzentrum versetzt. Der Tristesse der spanischen Wirtschaftskrise trotzen Salamancas dreißigtausend Studenten mit demonstrativem spanisch-europäischem Kulturoptimismus, mit Dichterlesung, Lasershow und viel experimenteller Musik auf der Plaza Mayor. Nirgends sonst auf unserer Wanderung durch die spanischen Provinzen war die mysteriöse „europäische Identität“ so intensiv spürbar wie in Salamanca.

Europäische Jakobswege sind trendy, und unser Reiseveranstalter Wikinger ist ein „Mythen-Händler“!?  Ob auf den Spuren von Karthagern, Kelten, Römern, Mauren oder mittelalterlichen Pilgern - wir 19 Aka-Leute auf der südwestlichen Route nach Santiago konnten täglich Beweise dafür besichtigen, auf einer sehr, sehr alten Straße der europäischen Geschichte zu ziehen.

Aber die „Wilde Schöne“ via de la plata ist auch eine Naturzauberin: Erinnert Euch an das Felsplateau oberhalb des Flusses Esla! Unsere mitgebrachten politischen und sozialen Gegensätze hatten wir längst ausgeschwitzt, die körperlichen Strapazen waren harte Realität. Sei es Kameradschaft, sei es Gemeinschaftsgefühl, was da manchmal auf unseren Rastplätzen entstand, zwischen Disteln, Dornen, Käfern und Ameisen, bei gefühlten 45°C im Schatten. Es war eine Ahnung davon, jede Unterscheidung von Gut und Böse möchte womöglich weniger wichtig sein als die Aufbewahrung in einer menschlichen Gruppe. Das ist ja ein religiöser, also ein Pilgergedanke.

Und am Ende der zehn Tage begann sogar die gut befestigte Skepsis gegen den ganzen „Pilgerrummel“ zu bröckeln. Wenn das riesige Weihrauchfaß durch die Kathedrale von Santiago saust, dann ist das der Event-Katholizismus des Kölner Welt-Jugendtags. Wenn aber diese Nonne mit der himmlischen Stimme in der Pilgermesse die liturgischen Gesänge anstimmt, dann blamiert sich jeder Zynismus schnell als borniert und provinziell. Glaube und „technischer Fortschritt“ scheinen für die dort versammelten Menschen keine Gegensätze zu sein. Unsere farblose Indifferenz, die sich gern als Toleranz ausgibt, steht staunend davor.

Wer weiß, vielleicht waren wir auch Pilger, die in zehn Tagen ein Stück Lebensgeschichte durchwandert haben; mit ungewissem Ziel.

Text: Dieter Heinrich, Bilder: Karin Exner