Ex-OB Peter Benz zu Gast bei „Aka im Gespräch“

Ein „Wendebuch“ habe er geschrieben, sagte Peter Benz. Wer jetzt eine neue Analyse des Mauerfalls und dessen Folgen erwartet, liegt falsch. Gewendet wird hier das Buch selbst. In der vorderen Hälfte ist sein Autor der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt, im hinteren Teil - nachdem man es „gewendet“ bzw. gedreht hat -, meldet sich Fritz Deppert, der ehemalige Leiter der Bert-Brecht-Schule zu Wort.

Beide Autoren geben ausführliche Einblicke in ihre Erkenntnisse aus 80 bzw. 90 Lebensjahren. Zu Gast in der Reihe „Aka im Gespräch“ war der Jüngere von den Beiden, nämlich Benz. Dass er - obwohl nicht mehr aktiv dabei - immer noch lebhaft interessiert ist an Politik, Literatur und dem ganzen Weltgeschehen, bewies er im Gespräch mit Moderatorin Petra Neumann-Prystaj.

„Alles in allem“ lautet der Titel des Buches, das von der “Gesellschaft der hessischen Literaturfreunde“ herausgegeben wurde. Der Titel ist wörtlich zu nehmen, denn es geht um nichts Geringeres als Selbstauskünfte, Darmstädtisches, Erzählungen, den Dialekt und Schriften zu Literatur und Kunst. Also fast alles! Oder, in den Worten des Autors formuliert: Ein Resümee-Buch!

An diesem Abend im Literaturhaus ging es natürlich vor allem um die Erlebnisse in der Heinerstadt, deren Oberhaupt Benz zwölf Jahre lang war. Die Politik hat er übrigens von der Pike auf gelernt, nachdem er zunächst fünf Jahre als Studienrat tätig war. 1974 zog er zunächst in den Hessischen Landtag ein, zwei Jahre später wurde er zum hauptamtlichen Stadtrat in Darmstadt ernannt, später zum Bürgermeister. Gewählt wurde der SPD-Politiker dann 1993 zum Oberbürgermeister und blieb es bis zur Pensionierung im Jahr 2005. Sympathische Selbsteinschätzung : „Ich bin kein Erwählter, sondern ein Gewählter.“

Wie die Idee zu diesem Buch entstanden sei, wollte Petra Neumann-Prystaj wissen. Die Anregung sei vom Vorstand des Vereins der hessischen Literaturfreunde gekommen, und zwar anlässlich der beiden runden Geburtstage - Benz wurde letztes Jahr 80, Deppert 90. Deppert und er hätten sich abgesprochen, wer im Literaturteil welche Schriftsteller präsentieren wolle, wobei Deppert sich mit Karl Krolow beschäftigt hätte, während Benz die Autoren Niebergall, Schiebelhut, Langgässer und die Initiative Literarischer März behandelt habe. Die Arbeit an diesem Teil des Buches sei äußerst spannend gewesen, da er uralte Akten gewälzt und sich mit eigenen, längst vergessenen Aufsätzen beschäftigt habe.

Stichwort Vergangenheit: Da hatte Petra Neumann-Prystaj einen Fragebogen entworfen, den der Gast mit sichtbarem Vergnügen beantwortete. Und das erfuhr das interessierte Publikum:

  • Der ursprüngliche Berufswunsch des Ex-OBs war Pfarrer oder ersatzweise Waggon-Schaffner.
  • Benz war schon als Schüler bei den Jusos, erinnert sich z.B. lebhaft, wie man gemeinsam die Auslieferung der Bild-Zeitung in Frankfurt verhinderte.
  • Das aktuelle Engagement der Jugendlichen, z.B. in der FFF- Initiative sieht er sehr positiv, Klebeaktionen jedoch kritisch, da er der Meinung ist, ausschließliche Gesinnungspolitik sei abzulehnen, man müsse Verantwortung für alle Lebensbereiche übernehmen.
  • Mit Stolz blickt er auf folgende Ergebnisse seiner Kommunalpolitik zurück:
  • Die Sperrzeit in der City wurde aufgehoben.
  • Cafés durften sich auf den Bürgersteigen etablieren, trotz Einspruchs des Ordnungsamtes.
  • Eine enge Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt begann. Zusammen mit dem damaligen Präsidenten Jan Wörner wurden zahlreiche Projekte angestoßen, z.B. die Errichtung eines Innovationszentrums.
  • Die HEAG-Hallen wurden nicht abgerissen, sondern restauriert. Während die zweite Halle den Sprung zur „Kulturhalle“ schaffte, klappte es mit der ersten „Markt“-Halle nicht wie geplant. Die kleinen Läden und Imbissstände überlebten leider nicht - vielleicht wegen der überall in den Innenstädten sich breit machenden Ketten und Billigläden?
  • Das Schlossgrabenfest mauserte sich von einem Songfestival für südhessische Künstlergruppen zu einem Großereignis.
  • Eine Schuldnerberatung wurde eingerichtet und existiert immer noch.

Die Gutscheine für Sozialhilfeempfänger, die für jeden Kühlschrank und jedes zerschlissene Sofa einzeln angefordert werden mussten, wurden durch einen monatlichen Festbetrag ersetzt, den die Betroffenen eigenverantwortlich ausgeben durften.

Gefragt, ob er seinen Sohn Hanno, der in diesem Jahr für das Amt des OB kandidiert, coacht, antwortete Benz mit einem klaren nein. Er gebe ungefragt keine Ratschläge und mische sich nicht ein.

Den Abschied von der Politik mit 63 Jahren habe er sich gut überlegt und nicht bereut. Er ist weiterhin aktiv in einigen Vereinen und literarischen Jurys tätig, liest und schreibt viel, wohnt weiterhin in Arheilgen, wo er nie weggezogen ist und gab zum Schluss eine Kostprobe aus seinem Buch zum Besten. Eine „ungehaltene Rede an seinen guten, alten Sessel“, der ihn die ganzen Jahre begleitet hat. Aus abgeklärter Distanz betrachtet er das Berliner Quartett „ Olaf, Christian, Robert und Annalena“, schaut kritisch auf die junge Garde der Politiker/innen, die ohne jegliche Berufserfahrung sofort in der Politik durchstarten und uns die Welt erklären. Er blickt zurück auf seine 80 Jahre , die im Krieg begannen, den rasanten Wiederaufbau der Stadt Darmstadt, der seine Jugend begleitete und all die Stationen, die er in dieser Stadt durchlaufen ist. Ob das nicht ein Nachteil sei, dieses Verharren in der „Provinz“, wird er oft gefragt. Er ist sich sicher, dass dies nicht der Fall ist, denn: Hier habe er die Türen zur Welt geöffnet, was sich nicht zuletzt in Darmstadts 14 Partnerstädten zeige.

Wer könnte dem widersprechen?

Text: Heidrun Bleeck / Foto: Gerald Block