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Ich kann nicht sagen, was mich beim jüngsten Vortrag mehr verwunderte: die Tatsache, dass das Osmanische Reich mehr als 600 Jahre Bestand hatte? Oder dass der vortragende Arno Angenend, mit Jahrgang 1916 noch vor Ende des Osmanischen Reiches geboren, darüber am 3. Dezember exakt 90 Minuten lang referierte - ohne schriftliches Konzept, aber wohl überlegt und anregend?

Der bekennende Laien-Historiker Angenend stolperte beim Studium der Geschichte Preussens über eine Bemerkung, dass der Generalfeldmarschall von Moltke ein Multitalent bzgl. Sprachen, Zeichnen und Militärführung und dabei u.a. auch der türkischen Sprache mächtig war. Das Warum liess ihn nicht los - so kam sein jüngst referiertes Wissen über das Thema „Preussen und das Osmanische Reich“ zustande.

Sein geschichtlicher Abriss über das Herrscherhaus Osman war umfangreich, aber wichtig: Welcher Laie weiss schon viel über türkische Urahnen und ihre Geschichte? OK, die Türken standen zweimal vor Wien und waren für das christliche Abendland 1683 eine große Bedrohung, das ist bekannt. Dass die Dynastie mit Osman I. um 1300 in Teilen Anatoliens als kleines Stammesfürstentum begann und das Reich unter seinen Nachfolgern in knapp 100 Jahren schon bis ins heutige Kosovo reichte, war dagegen überraschend. Mit Suleyman dem Prächtigen (Nomen est omen) wurde im 16. Jd. die Blütezeit der osmanischen Sultanen erreicht.

Die Bezeichnungen Sultan, Pascha, Wesir, und Beg sind uns aus „Tausendundeine Nacht“ vertraut. Sie wurden vom Referenten mit ihrer je eigenen Rolle vorgestellt: man kann sie (in dieser Reihenfolge) mit unseren Titeln König, Ministerpräsident, Minister und Oberbefehlshaber vergleichen. Die etwas intimeren Details über den sultanischen Harem muss der Rezensent aus Platzgründen leider übergehen.

Im 19 Jh. hatte das deutsche Kaiserreich starkes Interesse an guten Beziehungen zum Osmanischen Reich, nicht zuletzt wegen der verehrten heiligen Stätten in/bei Jerusalem, aber auch aus rein wirtschaftlichen Interessen (z.B. Bagdadbahn-Bau wegen der Rohstoffe im heutigen Irak). Schon vor dieser Zeit war der junge von Moltke ein begehrter (Militär-)Berater des Sultans und seiner Begs (s. oben); daher also seine Türkisch-Kenntnisse. Kaiser Wilhelm II. kam höchstpersönlich ins hlg. Land, um die von ihm bezahlte Erlöserkiche in Jerusalem einzuweihen; das Grundstück dazu hatte ihm der Sultan geschenkt.

Das Osmanische Reich, das schon vorher durch Kriege und innere Unruhen viele seiner Gebiete verloren hatte - zerfiel nach dem 1. Weltkrieg, fast zeitgleich erfolgte der Niedergang Preussens und die Abdankung des letzten deutschen Kaisers.

Dass das Wissen über diese europäisch-kleinasiatische Zeitgeschichte bei seinen Zuhörern nicht ebenso verloren geht, dafür sorgte dieser umfassende und gelungene Vortrag. Man darf gespannt sein, worüber der älteste Kursleiter der Aka55plus (A. Angenend) im nächsten Semester referieren wird. Er hat 4 neue viel versprechende Veranstaltungen angekündigt.
kpr

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