Gustave wer? fragte sich wohl manches Aka-Mitglied, als der Name zum ersten Mal im Programmheft auftauchte. Und so gab es, anders als bei den meisten Kunstausstellungen, keine Warteliste. Die 18 Neugierigen jedoch, die sich am 5. Dezember aufmachten, um Gustave Caillebotte in der Frankfurter Schirn zu entdecken, wurden nicht enttäuscht.

Die von der Fachleiterin Elke Glenewinkel organisierte Kunstführung erwies sich als Glücksfall, zumal unsere Führerin Kutlan Erol mit viel Wissen und Temperament glänzte.

 „Ein Impressionist und die Fotografie“ lautet der Titel der Ausstellung, die an verschiedenen Stellen in Frankfurt mit dem Bild „Pont de l’Europe“ auf sich aufmerksam macht. Es ist ein Bild vom Beginn der technischen Moderne. Paris in der Nähe des Bahnhofs Saint Lazare: Von rechts sieht man eine mächtige Stahlkonstruktion – das Brückengeländer. Ein Mann in einfacher Arbeitskleidung lehnt sich darüber, ein Hund trottet an ihm vorbei, ein elegant gekleidetes Paar geht in seine Richtung. Der Mann trägt Gehrock und Zylinder, die Frau ein bodenlanges Rüschenkleid. Er dreht sich zu ihr um, sie wirkt etwas gelangweilt. Eine alltägliche Szene – jedoch mit einer Besonderheit: Alle perspektivischen Linien treffen sich am Kopf des Zylinderträgers. Das Bild wirkt auf den Betrachter, als hätte ein Fotograf sich genau auf diesen Ausschnitt konzentriert. Und das ist das Typische an diesem 1849 geborenen Maler, der in Frankreich, England und den USA – anders als in Deutschland – längst zu den bekanntesten Impressionisten gehört: Seine Gemälde sind mit dem „fotografischen Blick“ verknüpft, thematisieren Bewegung und Abstraktion, zeigen immer wieder neue, überraschende Perspektiven.

Caillebotte stammte aus wohlhabenden Verhältnissen und brauchte sich ums Geldverdienen nicht zu kümmern. Nach einem abgeschlossenen Jurastudium zog es ihn zur Malerei. Dank seines Erbes konnte er sich als freier Künstler und nebenbei auch noch als Mäzen für seine ärmeren Impressionisten-Kollegen betätigen. Im Gegensatz zu ihnen war er jedoch ein begeisterter Anhänger der neuen technischen Umwälzungen: Paris, bis dahin ein verdrecktes Areal ohne Kanalisation und elektrisches Licht, war kurz zuvor vom Baron Haussmann in großen Teilen abgerissen und neu aufgebaut worden. Hohe Appartementhäuser waren entstanden, gigantische Alleen angelegt worden. Glas und Stahl waren vorherrschend. Dazu kamen Gaslaternen, Litfasssäulen, Kioske und öffentliche Toiletten.

Übrigens war Caillebotte der einzige aus dem Kreis der berühmten Impressionisten – Monet, Pisarro, Renoir, Sisley, Cezanne – der sich den fotografischen Blick so konsequent zu Eigen machte. Und so gab es ein kleines Skandälchen, als sein Bild „Die Parkettschleifer“ gezeigt wurde. Der Maler war damals Mitte 20 und hatte es gewagt, einen ganz normalen Arbeitsprozess nüchtern, ohne romantische Beigaben darzustellen. Vornehme Zeitgenossen beklagten beim Betrachten des Bildes den spürbar vulgären Schweißgeruch der Darstellung…

Es gibt viel zu entdecken in dieser Ausstellung. Natürlich kommt auch die Natur nicht zu kurz: Der französische Künstler war ein begeisterter Wassersportler und hat dieses Element in vielen Variationen gestaltet.

Noch mehr Informationen gibt es auch für Fans der Fotografie, deren Anfänge und Weiterentwicklung in einer Extra-Ausstellung erfasst sind. Und natürlich gibt es auch in dieser Ausstellung wieder die Audio-Guides, die jeden Besucher kenntnisreich durch die Säle leiten – wenn er denn keine eigene Führerin hat.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Januar in der „Schirn“ in Frankfurt zu sehen. Alle Infos > hier.
hb