Infolge eigener Kriegserfahrungen in der Kindheit stellt sich Professor Gassen eindeutig auf die Seite der Gegner von Krieg und Gewalt, bevor er analytisch an das Thema herangeht, das er gerade in seinem jüngsten Buch „Wie das Böse in unsere Köpfe kam“ behandelt hat. Auch er weiß, wie stark das Böse und die Gewalt die Menschen faszinieren:

Seit 1970 hat die Fernsehserie „Tatort“ trotz 3 ½ tausend Morden zuverlässige Quoten. Dem Wunsch nach Gerechtigkeit und die vielseitige Erziehung zum Guten stehen auch in der Realwelt viele tausend Beweise von Gewalt und Verbrechen gegenüber. Gassens erstes Fazit: Die Natur setzt das Gesetz des Überlebens über jede Moral. Die Fähigkeit zum Töten gehört zum biologisch angelegten Verhalten des Menschen.

Eine wesentliche Unterscheidung sieht der Referent zwischen dem legalen Töten im Krieg und dem illegalen Tod, dem meist individuellen Mord. Mit etwas zurückgenommener Stimme berichtet Gassen über die grausame Theorie eines in England lebenden Deutschen, der angesichts der gnadenlosen deutschen Bombeangriffe auf englische Städte das ‚moral-bombing’ ersann, wonach man einen Krieg schneller gewinnen kann, wenn man keine zivilen Opfer (Frauen und Kinder) scheut! Eine Theorie, die den 1944 in Darmstadt Mit-Betroffenen vielleicht etwas erklärt, aber nicht hilft. Weitere Beispiele aus der Zeit nach 1945 in Biafra und China (Nanking-Massaker) führen Gassen zu der Feststellung: In über dreitausend Jahren Christentum haben die Menschen nichts gelernt; das Durchsetzen gewisser Interessen setzt das Gebot der Ächtung des Tötens außer Kraft.

Bei der Erziehung zum Guten (oder Bösen) spielen die sozialen Umstände auf der ganzen Welt eine immens wichtige Rolle, was Gassen durch einleuchtende Forschungsergebnisse belegt. Versäumnisse in der Erziehung im „formbaren Alter“ der Jugendlichen, die Zunahme des internationalen Drogenhandels und -konsums, die Verarmung und Kriminalisierung in bekannten Landesteilen und Städten und die leichte Beschaffung von Alkohol lassen eine Einschränkung der Gewalt nicht erwarten. Bei der Betrachtung sozialer und nur politisch veränderbarer Ungerechtigkeiten wurde der Biochemiker übergangslos politisch. Immerhin sammelte er vor Jahren als Stadtverordneter einige politische Erfahrungen. Heute denkt über neue Formen einer Gemeinschaftserziehung zum Gutsein nach und hinterfragt die politische Erziehung beim Militär.

In dem Dialogteil, bei dem Petra Neumann-Prystaj und Margret Wendling die Veranstaltung geschickt in die Hand nahmen, wurden Aspekte der persönlichen und staatlichen Wehrhaftigkeit durch die der Bundeswehr und der Parteiendemokratie vor dem Hintergrund einer echten Friedenspolitik diskutiert. Gerade in Deutschland bestehe die moralische Pflicht, aktive Kriegsforschung zu betreiben, anstatt Waffen in Dritte-Welt-Länder auszuliefern. Mit dem Hinweis, dass alle deutschen Nachkriegsregierungen, keine Scharfmacher gewesen seien und der Mahnung, aktuelle soziale Gerechtigkeit nicht zum Feld für plakative Äußerungen werden zu lassen, schloss die mit 100 Besuchern „ausgebuchte“ Veranstaltung.

wsw