Rund 60 Opern - man lese und staune - kann man in der Musikliteratur zum Fauststoff finden. Doch viele Musikkenner der heutigen und vergangener Zeiten haben behauptet, dass es wohl Mozart am besten gekonnt hätte, wenn er nicht ach so früh verstorben wäre. So müssen wir uns mit anderen mehr oder weniger bekannten Komponisten begnügen, die genug Zeit hatten, sich mit Mephisto, Gretchen und der ganzen Tragödie von Schuld und Erlösung zu beschäftigen.

Überwiegend Opernfreunde gehörten zu der überschaubaren Schar derer, die dem vortragenden Helmut Haselbeck bei seinen Ausführungen über Faust und die Musik lauschten. Diese Literatur ist erst 200 Jahre alt; Hector Berlioz war 1831 einer der ersten Komponisten. Vorstudien seines Sinfoniewerks „Fausts Verdammnis“ hat er dem greisen Goethe zugesandt, der es so gut wie nicht beachtete. Dabei kam Berlioz musikalisch der Goetheschen Sprache am nächsten, während die Handlung bei ihm eine andere Schluss-Wendung nimmt: Faust wird von der Hölle verschlungen.

Überhaupt gibt es kein Werk, das den Fauststoff des Schauspiels umfänglich darstellt. Der Komponist Alfred Schnittke brachte es auf den Punkt: Für ihn kann Faust „beliebig oft verwirklicht, aber nie ganz erschlossen werden“. Charles Gounod stellte das Gretchen in den Mittelpunkt seiner Oper; sie ist mit dem Titel „Margarethe“ bis in unsere Tage häufig auf dem Spielplan der Opernhäuser weltweit. Louis Spohr schuf ein Singspiel „Faust“, das eine Mischung aus Zauberoper und Schauerromantik darstellt. Bei dem Italiener Busoni ist „Doktor Faustus“ eine Oper, die lyrisch, gespenstisch, heroisch und zugleich volkstümlich daher kommt.

Hervé, Boito, Egk, Reutter, Schnittke u.a. haben jeder ihre eigenen Vorstellungen in ihren Werken verwirklicht: Da wird die Gounod-Oper parodiert und spielt im Rotlichtviertel (Hervé), um nebenbei der Gesellschaft einen moralischen Spiegel vorzuhalten. Boito arbeitet die philosophischen Aspekte der Faust-Erzählung stärker heraus, während Werner Egk mit „Abraxas“ das einzige Ballett zum Thema schuf, das wegen seiner eingebauten „Schwarzen Messe“ nach der Uraufführung 1948 zeitweilig verboten war. Bei Schnittke wird Mephisto schließlich zweigeschlechtlich (androgyn); warum sollte ein Verführer auch immer nur männlich sein?

Der Faust-Kenner Haselbeck unterschied Goethe-nahe Vertonungen von solchen, die sich auf den Urfaust beziehen. Mit der „Peer-Gynt-Suite“ (Grieg) und „The Rake‘s Progress“ (Strawinsky) liess er die Sekundärliteratur nicht unerwähnt und arbeitete die Übereinstimmungen und Unterschiede von Handlung und Hauptpersonen gut heraus. Bei „Faust und Yorick“ von Wolfgang Rihm ist Faust ein weltvergessener Forscher, der gar nicht auftritt, sondern nur erwähnt wird. Welche Faust- und Gretchen-Mutationen werden wir in Zukunft auf diesem Gebiet noch erleben? Wir dürfen gespannt sein.

Während sich der Vortrag dem Thema naturgemäß nur sprachlich nähern konnte, wurde das Ganze mit musikalischer Darbietung aufgelockert bzw. untermalt. Das Ehepaar Pietzsch und Frau Kirchbein trugen vertonte Gedichte und Balladen aus Goethes Faust vor. Der „König in Thule“ und „Ach neige , Du schmerzensreiche“ durften nicht fehlen und wurden in ihrer Dramatik nicht nur erläutert, sondern auch ausdrucksstark interpretiert.
kpr