Wer kennt ihn nicht aus der Schulzeit, den „Panther“ (1907) von Rainer Maria Rilke? Er gehört zu jenen Gedichten aus der Pariser Zeit des Dichters, für die er sich, den Rat des Bildhauers Auguste Rodin befolgend, in der Kunst des Sehens übte. Dafür bot sich unter anderem der Zoo im Jardin des Plantes an.

Der 60 Jahre alte Philosoph Dr. Peter Vollbrecht (Esslingen) trug seinem Publikum im Wohnstift Kranichstein mehrere Rilke-Gedichte vor, um danach, unterstützt von den Zuhörerinnen und Zuhörern, auf ihre Feinheiten einzugehen.

Rilke ist ein Meister der lyrischen Musik und wechselt – gerade im „Panther“ – zwischen monotoner Lautmalerei und hüpfendem, springendem Rhythmus ab. Subtil lässt er den Leser oder Hörer mit dem Panther leiden und bringt ihn dazu, Empathie mit dem in der Gefangenschaft abgestumpften Tier zu entwickeln.

Paris war für Rilke eine „schwere, bange“ Stadt, aber auch eine Inspirationsquelle. Sein Gedicht „Die Städte“ enthält eine noch immer aktuelle Zivilisationskritik. „Der Blinde“, eingeleitet mit der Aufforderung „sieh“, regt den Leser an, sich auf die Wahrnehmung eines Menschen einzulassen, dem der Sehsinn – der ja auch ein Fernsinn ist – fehlt. Anders als ein Sehender weiß er nicht, was auf ihn zukommt. Vielmehr muss er sich passiv auf das Geschehen um ihn herum einlassen. Mit dem Leser möchte sich der Blinde „vermählen“.

Das Gedicht „Archäischer Torso Apollons“ aus dem Jahr 1908 macht bewusst, dass ein Fragment eine größere Ausdruckskraft haben kann als die Ganzheit. In Rilkes Betrachtungen über „Das Karussell“ wird bei der Beschreibung der kleinen Reiter und Reiterinnen der Abschied von der Kindheit („das Land, das lange zögert, eh es untergeht)“ angedeutet.

Dr. Vollbrecht schilderte kurz den Werdegang des 1875 in Prag geborenen Dichters, der eine traumatische Kindheit erlebt hat. Seine Mutter kleidete ihn ein wie ein Mädchen, weil sie sich eine Tochter gewünscht hatte. Bis er sieben war, spielte er mit Puppen, doch schon drei Jahre später kam er auf eine Militärakademie. Als junger Mann suchte er die Nähe des Adels, weil dieser sich den Luxus der Muße leisten konnte - und die Nähe der Frauen. Vollbrecht: „Er war ein eigenartiger Womanizer, seine feminine Erotik zog schöngeistige Frauen an.“

Der Dichter wechselte ständig die Wohnorte: München, Berlin, Paris, Prag, Neapel, Capri, Ronda, Venedig, Worpswede. In Paris stellte ihn der 62 Jahre alten Bildhauer Rodin, der jeden Morgen seine Skulpturen begrüßte, als Sekretär ein und behandelte ihn wie einen Leibeigenen. Rilke, der bislang auf seine schöpferische Augenblicke vertraute, lernte von dem Älteren die Disziplin des Arbeitens und gewöhnte sich an, Worte so „durchzukneten“, wie es der Meister mit dem Ton machte.

1926 starb der Dichter in Valmont bei Montreux an Leukämie. Er, für den der Tod immer ein großes Thema gewesen war, glaubte bis zum Schluss, dass ihn die Ärzte noch retten könnten.
pep