grimmwelt pep 170Aka-Ausflug nach Kassel zum multimedialen Erlebnismuseum „Grimmwelt“ auf dem Weinberg

Die vor etwa 200 Jahren erschienenen Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, heute UNESCO-Dokumentenerbe, sind nach der Bibel das am meisten verbreitete deutsche Buch. Mit diesem Pfund kann die Stadt Kassel jetzt wuchern.

Auf Kassels „Stadtbalkon“, dem historischen Weinberg, wurde vor einem Jahr das langgestreckte, verschachtelte Gebäude „Grimmwelt“ mit 1600 Quadratmeter Ausstellungsfläche eröffnet. Dort werden – zum Teil hinter Panzerglas - handschriftliche Originale und Erstausgaben gezeigt, die die Bedeutung von Jacob und Wilhelm Grimm als Sprachwissenschaftler und Märchensammler belegen. Zu jedem Buchstaben   gibt es eine „Erlebniswelt“.

Die Brüder kamen zwar in Hanau zur Welt, verbrachten aber einen Großteil ihres Lebens und sicherlich ihre fruchtbarsten Jahre in Kassel.   Jacob war von 1808 bis 1814 Privatbibliothekar des westfälischen Königs Jérôme, eines Bruders von Napoléon. Wilhelm unterstützte seinen Bruder später als Sekretär. Gemeinsam arbeiteten die Brüder in der Bibliothek die vernachlässigten Bestände auf, widmeten sich der  „Deutschen Grammatik“ und begründeten die Germanistik.     Ihr 1838 begonnenes Wörterbuch wurde erst 1961 vollendet. Es enthält auch Worte, die uns heute nichts mehr sagen, etwa Zögelschirbel oder Frohteufel.

Die Besucher der Grimmwelt werden in 25 Stationen durch Räume geführt, die vorwiegend der wissenschaftlichen Arbeit der Grimms gewidmet sind. Eine Zettelwand mit Kopien von Belegstellen gibt eine Ahnung von der Zuarbeit von etwa 100 Mitarbeitern. Sie sollten Bücher vom Mittelalter bis zur Goethezeit nach deutschen Wörtern durchforsten und die Fundstellen aufschreiben. Auch Schimpfwörter wurden nicht ausgespart. Aus dieser Fülle stellten die Grimms ihr Wörterbuch zusammen. Doch sie kamen nur bis zum Buchstaben F wie Frucht, weil sie den Arbeitsaufwand unterschätzt hatten.

Eine Fotowand mit Porträts ihrer Zeitgenossen vermittelt eine Ahnung von ihrem großen Korrespondenten-Netzwerk, das weit über Europa hinausreichte. Experten haben ausgerechnet, dass die Brüder im Lauf ihres Lebens 520.000 Gänse- und Stahlfedern verbraucht haben müssen. Die von ihnen verwendete Tinte würde ein riesiges Fass füllen.

Weltbekannt aber wurden sie durch ihre Märchen. Vierzig davon steuerte Dorothea Viehmann, eine Gastwirtstochter aus einer Hugenottenfamilie bei. Textvergleiche zeigen, dass die Grimms ihre Märchen von Ausgabe zu Ausgabe veränderten, ausschmückten und dadurch auch verlängerten. Inzwischen wurden sie in 160 Sprachen übersetzt.

In einem Raum mit Videoinstallationen wird ein und dasselbe Märchen abwechselnd in verschiedenen Sprachen von jungen und alten Märchenerzählern aus aller Herren Länder vorgetragen. In einer Art Kinosaal kann man außerdem Ausschnitte von Filmen miteinander vergleichen, die auf die Grimmschen Märchen zurückgehen – vom Stummfilm bis zum modernen Comic. Die jüngeren Besucher fanden zwei begehbare Häuser reizvoller, in denen sie selbst in Anlehnung an „Hänsel und Gretel“ und „Rotkäppchen“ aktiv werden können.

Es überraschte einige, dass die Grimms auch einen hochbegabten Maler-Bruder hatten. Er ist ein bisschen in Vergessenheit geraten. Dabei hatte jener Ludwig Emil maßgeblichen Anteil an der Ausgestaltung der „Kinder- und Hausmärchen“. Übrigens ließ sich auch Dorothea Grimm geb. Wild, Wilhelms Frau, vom Schreibfleiß ihres Mann und ihres Schwagers anstecken: Von ihr sind über 300 Kochrezepte überliefert.

Im Anschluss an den Museumsbesuch führte Aka-Vorstandsmitglied Sigrid Geisen die Darmstädter Gruppe sachkundig durch ihre Heimatstadt.

Petra Neumann-Prystaj