Über das Leben in China

platz des himmlichen friedens marwenDer lebhafte Beifall am Schluss seines Vortrags widersprach in gewisser Weise seiner Ankündigung, nur eine „Gebrauchsanweisung für China“ bieten zu können. Der Darmstädter Lehrer Berthold Arlt arbeitete und lebte drei Jahre an einer deutschen (Privat-)Schule in Peking und hat seine Erfahrungen in einem gut gegliederten, mit Bild und Ton untermalten unterhaltsamen Vortrag dargeboten.

Die Vielfalt dieses Landes mit seinen fast 1,5 Milliarden Einwohnern bietet Gesellschaftsszenarien aller Stufen von der ersten bis zur dritten Welt. Da bis heute vor allem der Ostteil des Landes eine moderne Industriegesellschaft aufweist,  macht deutlich, welche Entwicklungsmöglichkeiten im „Reich der Mitte“ (traditionelle Sicht) noch schlummern.  Die erst in jüngster Vergangenheit etwas abgeflachten Zuwachsraten der Wirtschaft überdecken fast, dass China politisch zwar ein ‚sozialistischer Staat mit der Diktatur des Volkes’ ist, der  aber ganz offen nach kapitalistischen Regeln handelt.

Das System schränkt die bei uns üblichen Freiheiten ein. Jedoch bringt der dynamische wirtschaftliche Aufschwung gewisse „westliche“ Liberalisierung mit sich, wobei jedoch  kritische Tendenzen in der Kunst und in den Medien weiter unterdrückt werden.  Wie Herr Arlt berichtet, hat das religiöse Leben  (rd. 100 Mio. Buddhismus-Gläubige) mit Strömungen des Taoismus, des Islam und des Christentums in der Nach-Mao-Zeit wieder spürbar zugenommen. Hohe Investitionen in den Bereichen Bildung, Industrie und Sport bringen das Land im internationalen Vergleich gut voran. Es gibt Bürgerbefragungen und zaghafte Mitbestimmungsmodelle bei städtebaulichen Veränderungen und Planungen. Viele Parks, Grünzonen mit Teichen und Spielflächen bilden Freizeitanlagen, die mit Tanz, Tai Chi, Gymnastik und Ballspielen intensiv genutzt werden und vielerorts bunte Bilder vermitteln.

Für den westlichen Betrachter bestechen kunstvoll angelegte blumenreiche Riesenbeete und Blumenwände in den Erholungsparks der Städte. Zur Verschönerung werden alte Gebäude oder ganze Stadtviertel ohne jegliche Denkmalschutzüberlegungen abgerissen und nach heutigen Gesichtspunkten (sehr schnell) neu aufgebaut. Die Regierung plant, dass die Metropolen noch bis 2020 weiter wachsen. Berthold Arlt berichtet von regelrechtem Baufieber in den Zentren. Erstaunlich sind die Einwohnerzahlen von bis zu über 30 Mio. in bei uns zum Teil völlig unbekannten Großstädten. Als Städte im chinesischen Verständnis gelten überhaupt nur Orte mit klar über 5 Mio. Einwohnern (vgl. Berlin hat 3,4 Mio.). Inwieweit die obligatorische Schutz- bzw. Atemmaske im Straßenbild geboten ist, hängt vom Wetter und Windrichtung ab. Es gibt durchaus auch Ferienwetter auf Bestellung; das durch  Industrieregelungen und Verkehrseinschränkungen ‚gemacht’ ist. Schnelle Züge mit über 300 km/h und Transrapid bis 400 km/h machen Reisen einerseits angenehm; andererseits verlangen steigende PKW-Zahlen neue 6 bis 8-bahnige Autostraßen.

China misst jährlich 30 Mio. Touristen. Einen Teil davon zeigte Herr Arlt auf seinen Fotos in übervollen Straßen, Parks, Kaufhäusern und auf der immer interessanten „Mauer“. Ausgesucht schön sind seine Fotos von einer Bootstour auf dem Jangtse, dessen Höhenunterschiede an einer Stelle nur mittels 5 Staustufen überwunden werden können. Neben den Naturschönheiten faszinieren den Chinabesucher am meisten die alte Terracotta-Armee und die gigantischen architektonischen Zeugnisse aus neuester Zeit: exotische Hochhäuser, vielgestaltige Stadttore, das Olympiastadion „Vogelnest (2008)“ und ein futuristisches Gebäude in Eiform, das vier unterschiedliche Theater beherbergt. 

Walter Schwebel