Ein spannender Blick auf "gutes" Deutsch

Das Publikum im überfüllten Literaturhaus gehörte zweifellos nicht zur Spezies des Muttersprachlers aus der Überschrift. Trotzdem – oder gerade deshalb – waren alle gekommen, um sich bei der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich die durch die Veranstaltung „Unwort des Jahres“ eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, schlau zu machen. Was bedeutet denn nun eigentlich "gutes Deutsch?"

Peter Wagener – ebenfalls promovierter Sprachwissenschaftler – übernahm die Moderation und bezog die Gäste geschickt in die Diskussion mit ein. Die Darmstädter Professorin gab zunächst eine kurze wissenschaftliche Einführung in ihr Thema. Zunächst müsse man die Sprechsituation betrachten.

  • Handelt es sich z.B. um ein formelles/informelles/privates/ dienstliches Gespräch?

  • Wie verhält es sich mit den "Grundgrößen" Wortschatz, Syntax, Komplexität?

  • Wie richtig ist die Orthografie?

  • Wie verständlich ist die Sprache?

  • Sind ästhetische oder formale Qualitäten erkennbar?

  • Ist der Inhalt relevant?

Zugespitzt könnte man "Sprachkultur" so definieren: Sie zeichnet sich dadurch aus, dass das Niveau eines angemessenen, normgerechten und schöpferischen Sprachgebrauchs in bestimmten Situationen gegenüber bestimmten Personen und unter Berücksichtigung des Gegenstandes der Kommunikation erreicht werde.

Soweit die Theorie. In der Praxis allerdings ist das alles nicht so klar, denn, so Nina Janich: DAS gute Deutsch gibt es gar nicht. Jeder "Sprechakt" sei abhängig vom Partner und der Situation. Jede Sprechhandlung könne gelingen oder misslingen, könne im Hinblick auf das erhoffte Ergebnis erfolgreich sein oder auch nicht.

Ein Beispiel machte klar, wie kompliziert es sein kann mit der Beurteilung. Der Student, z.B., der sein Fernbleiben per Email an seinen Dozenten so entschuldigte:

ich kann morgen leider nicht kommen, weil ich hab praktische fahrprüfung. Tut mir echt voll leid.

Und das ist, wie man als gereifter Mensch mutmaßen könnte, sprachlich voll daneben. Doch halt, so einfach ist es nicht....

Der Verzicht auf Großschreibung? Ist inzwischen fast Standard bei Emails der jüngeren Generation.

"Echt voll leid" ist ein Ausdruck der Jugendsprache. Wird er oft genug verwendet, hat er gute Chancen, im Duden zu landen und somit akzeptiert zu werden.

Die Satzkonstruktion "weil ich hab" - dito. Das Verb, das eigentlich nach der Konjunktion ans Ende des Nebensatzes rutschen müsste, rückt hinter das Subjekt. Dies, sagte die Referentin, sei eine Vereinfachungstendenz. Man wolle es "möglichst unaufwendig". So würde bei komplizierten Sätzen nach hinten hin immer mehr "geschludert". Und irgendwann gelte die eigentlich falsche Konstruktion dann als erlaubte Variante.

Alles erlaubt also? Nicht ganz, denn mit Sicherheit wurde eines nicht berücksichtigt: der Adressatenbezug. Weil dieses Schreiben ja eben nicht an den Kumpel Hannes ging, sondern an den Professor X. Und da gelten dann eben doch andere sprachliche "Spielregeln".

Und wie ist es nun mit dem berühmten "Sprachgefühl"? Das sei ein Teil Begabung, ein anderer, großer Teil aber Übung. Übung durch Sprechen, Lesen und Schreiben.

Das Deutsch als Standardsprache haben wir übrigens Martin Luther zu verdanken, der die Bibel übersetzte. Vorher gab es nur Dialekte. Heute sollte jeder Mensch sicher sein in der Standardsprache, die ja überall in der Schule unterrichtet werde. Daneben aber sollten, wo immer möglich, Dialekte gepflegt und andere Sprachen gelernt werden. Englisch als Weltsprache sei wichtig, aber die Muttersprache habe eine große Bedeutung für die Identität des Menschen.

Ausdrücklich wies Nina Janich darauf hin, dass der Sprachwandel ein permanentes Phänomen sei. War es im 18. Jahrhundert der französische Einfluss, so ist es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Englische, was immer beliebter auch in der Alltagssprache wird. Sprachpuristen wehren sich gegen das „böse Englisch“, haben aber keine Probleme mit dem „guten Latein“ , das vor allem in den gebildeteren Schichten gang und gebe ist und in vielen Wörtern (zum Beispiel Nase, Fenster) gar nicht mehr als „Lehnwort“ wahrgenommen wird.

Das Deutsch, sagte die Referentin, habe viele Wörter aus fremden Sprachen integriert. Man dürfe aber keine Angst vor Überfremdung haben, denn „Sprache erneuert sich immer wieder.“

Heidrun Bleeck