faust Wil van Iersel18:30 Uhr – 25 Aka Mitglieder verschwinden mit Oliver Brunner im „Bauch des Staatstheaters“, wo sich das neue Sitzungszimmer befindet.

Dort erläutert der Schauspieldramaturg, wie Bettina Bruinier und ihr Team planten, den weltbekannten, hunderte Male aufgeführten, bejubelten, missverstandenen, heiliggesprochenen, auch missbrauchten Stoff von Doktor Johann Faust, der Gott gleich werden will, zu inszenieren.

 Alle Grenzen überschreitend – ICH ICH ICH – fordert Faust: „… und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, will ich in meinem innern Selbst genießen, mit meinem Geist das Höchst und Tiefste greifen, ihr Wohl und Weh auf meinem Busen häufen…“

Das versucht er, durch einen Pakt mit dem Teufel zu erreichen. (Diese Geschichte ist hinlänglich bekannt – leider heute nicht mehr immer als Stoff des gymnasialen Deutschunterrichtes vorgesehen.)

Es entsteht die Frage nach dem ER. WER ist dieser Mann, der unzählige Zitate erzeugt, die das ältere Publikum leise mitspricht, (Leute, deren Lehrer FAUST I; vielleicht sogar FAUST II für bedeutend hielten und bei Gelegenheit mit ihren Klassen ins Theater gingen oder Filme zeigten.) Am Samstagabend bestand bestimmt ein Drittel des Publikums im Kleinen Haus aus Schülerinnen und Schülern, die mir versicherten, sehr gut vorbereitet zu sein und das Schauspiel mindestens (!) interessant zu finden. Gut so! Oder auf Neudeutsch: Also, geht doch!!

Für eine gründliche Interpretation von Text und Darstellung fehlen hier Zeit, Platz und ehrlich gesagt, meine Fähigkeit. Dazu gibt es kilometerweise Abhandlungen!

Man redet gemeinhin von DEM Faust und meint diese eine bekannte Figur, mit der sich Goethe fast sein ganzes Leben lang beschäftigt hatte. Er wird üblicherweise von EINEM Schauspieler dargestellt. Es handelt sich in der Regel bereits um einen erfahrenen Könner, möglicherweise schon auf der Höhe seiner Laufbahn. Es ist eine große Ehre, wenn einem Mimen diese Rolle angeboten wird.

Im Darmstädter Theater sehen wir dafür ZWEI Personen; einmal den mehr depressiv, fragenden Faust, dargestellt von Samuel Koch, zum anderen den forschen, agilen Typen (Christian Klischat). Sie zeigen jedoch nur zwei Seiten dieser facettenreichen, kaum fassbaren Figur. Zu Beginn des ersten Aktes sitzen zahlreiche Personen auf Baumstämmen. Sie symbolisieren die Vielzahl des Faustischen, sozusagen den Faust in jedem von uns.

So entstand wohl die Frage: Wie könnte diese Figur auf der Bühne dargestellt werden? Ein Faust für alle oder fünf Faustfiguren und immer noch nicht genug?

Die Darmstädter Inszenierung macht mit zwei Schauspielern die Vielseitigkeit und die daraus entstehende Problematik dieser Figur durchaus deutlich. Es ist anregend und anspruchsvoll, das Kommen und Gehen, das Doppelspiel und die Soloauftritte der beiden Hauptdarsteller zu verfolgen, sowie deren „Zusammenarbeit“, beziehungsweise ihre Abhängigkeit von Mephisto zu erkennen, sowie dessen Unterwerfung und seine Arroganz zu erspüren.

Die Botschaft der Dramaturgie ist klar; Schauspieler, das karge Bühnenbild usw, sogar die überraschenden Musikeinspielungen machen diesen Abend nicht nur zu einem „Event“ für

2 ¾ Stunden. Da bleibt schon vieles beim Zuschauer hängen.

 ABER: Wer Samuel Koch als „Prinz von Homburg“ oder als frechen „Räuber“ so positiv erlebt hat, wer ihm von Herzen gönnt, dass sein Lebenstraum, Schauspieler zu sein, am Darmstädter Theater erfüllt wird, der muss sich m.E. fragen: Was machen die Leute da mit ihm? Was lässt er mit sich machen? Er ist noch so jung. Vielleicht wird er einmal die Traumbesetzung für die dunklere Seite des Faust, wer weiß?

Aber ist es nötig, Herrn Koch an den Hosenträgern wie eine Stoffpuppe über die Bühne zu schleifen, ihn an Hemd und Hose vor sich in die Höhe zu halten, wie ein Kleiderbündel abzulegen, ihn zu drehen, zu wenden, ihn deutlich hilflos erscheinen zu lassen? Ist das nötig, um das Faust-Problem verständlich zu machen?

Ich finde das nur überflüssig und peinlich!

Vielleicht denkt Herr Koch einmal darüber nach, dass man Inklusion auf SEINE Kosten auch übertreiben kann.

Mika Dietrich / Foto: © Wil van Iersel