Aka im Gespräch: Vortragsveranstaltung mit Faisal Hamdo,  Autor des Buches „Fern von Aleppo“

faisal hamdoWortungetüme wie Anpassungsqualifizierungsmaßnahme oder  Steueridentifikationsnummer gehen Faisal Hamdo (30), geboren in Aleppo (Syrien), flotter über die Lippen als manchem Deutschen. Dabei wohnt der  gefragte Buchautor, dessen  Erstlingswerk „Fern von Aleppo – Wie ich als Syrer in Deutschland lebe“ 2018 erschienen ist,  erst seit fünf Jahren in der Bundesrepublik.  Der   Dreißigjährige arbeitet als Physiotherapeut auf der neurochirurgischen Intensivstation  der Universitätsklinik  Hamburg-Eppendorf und ist dort sogar zum  Teamchef aufgestiegen.

An den Wochenenden begibt er sich per Bahn auf Lesereise, um seiner   Zuhörerschaft den Spiegel ihrer Kultur vorzuhalten.  Der  Mittler zwischen den Welten will Neuankömmlingen aus seinem Land erklären, wie das Leben hierzulande funktioniert  und ihnen über den Kulturschock des Anfangs hinweghelfen. 

Eine Station seiner Lesereise war das Darmstädter Literaturhaus. Dazu hatten  mehrere Sponsoren eingeladen: die  Akademie 55plus, die Darmstädter Bürgerstiftung, das Sprachenzentrum   der Technischen Hochschule Darmstadt und  der  Deutsch-Syrische Verein Darmstadt, dem er in der Türkei geholfen hatte, gespendete Hilfsgüter zur  Grenze zu bringen.   Frei  sprechend und gelegentlich Passagen aus seinem Buch vorlesend, beeindruckte  der Dreißigjährige  seine Zuhörer mit Charme, Witz und Intelligenz.

Viele fragten sich: Wie  konnte der  aus ärmlichen Verhältnissen stammende Urenkel eines Beduinen so schnell und  erfolgreich in Deutschland ankommen?  Als Hamdo  2014 deutschen Boden betrat,  hatte er von seiner künftigen zweiten Heimat nur eine vage Vorstellung: die von seinem Vater, einem Bauarbeiter,  gepriesene  Qualität der „Made in Germany“-Werkzeuge und die  blaue Dose mit Nivea-Creme,  die er für seine Mutter kaufen musste.  Er verbindet damit ihren  Duft.  Heute  wohnt er unweit der Produktionsstätte dieses Hautcreme-Klassikers.

„Wer nicht fragt, bleibt dumm“ wurde  Faisal Hamdos Leitmotiv.  Dank seiner freundlichen, offenen  Art  fand er schnell deutsche Freunde und Helfer, die ihn unterstützten und förderten.  Viel verdankt er  aber auch der Erziehung seiner Eltern. Denn  diese „großartigen Menschen“, die  kaum lesen und schreiben können,  haben  ihren zehn Kindern  den Wert von Bildung vermittelt und ihnen beigebracht, jeden Tag ein Ziel vor Augen zu haben.   Mit diesem Antrieb,  verbunden mit einer außergewöhnlichen Sprachbegabung und Neugier, konnte Hamdo den Neuanfang aus eigener Kraft schaffen und sich in die deutsche Gesellschaft einfühlen. Er sagt von sich, dass er zu jener namenlosen Masse junger Menschen gehört, die ab 2011 in Syrien auf die Straße gegangen war, um in Sprechchören für ein besseres  Leben zu demonstrieren. Dann  begann die syrische Tragödie, das große Morden. Er konnte fliehen, bevor ihn der Krieg einholte, aber er hat einiges von ihm  mitbekommen.  Die in  Deutschland lebenden Syrer hätten die Aufgabe,  über die grausamen Verhältnisse in ihrem Heimatland zu berichten, meint Hamdo.   Er erspart sie seinem Publikum nicht,  erzählt  von einem  schwer verletzten, blutüberströmten zehnjährigen Jungen, den er in ein Notkrankenhaus  trug.  Auf einer  Pritsche lag der bewusstlose Vater des Kindes  – ihm fehlte ein Bein. Alle Geschwister waren tot, und die Mutter hatte keinen Kopf mehr.  Ein Anblick, den Hamda  nie vergessen wird. Aber er, der freiwillige Helfer, durfte in diesem Augenblick nicht traurig und wütend sein. Er musste  „funktionieren“.

Wie schwierig der Spracherwerb für einen Geflüchteten aus einem arabischen Land ist, wurde dem  Darmstädter Publikum von zwei Syrern bewusst gemacht, die seit drei Jahren erfolgreich von Heidrun Bleeck, Gründerin und Vorstandsmitglied der Akademie 55plus, unterstützt werden.   In enger Zusammenarbeit  mit dem Sprachzentrum der Technischen Universität wird sie auch das geplante Folgeprojekt betreuen. Auf arabisch schilderten Obada aus Homs, der heute in Darmstadt   Sozialarbeit studiert,  und Elektrotechnik-Student Wasim aus Damaskus  ihre Lebenswege – und das Publikum verstand kein Wort.  So war es Faisal Hamdo bei seiner Ankunft in Hamburg auch ergangen.  Obwohl er  in Syrien bereits als Physiotherapeut tätig gewesen war,  durfte er seinen Beruf in Deutschland zunächst nicht ausüben.   Um Geld zu verdienen, arbeitete  er auf dem Bau,  dann  als Aushilfsgärtner, Aushilfspfleger, Betreuer für ein Mädchen mit Downsyndrom und Hundesitter. Abends lernte er fleißig deutsch und besuchte Berufsanpassungskurse.  Schnell begriff er, dass Deutschland ein Land der Prüfungen ist.

 Deutsche, so glaubte er früher, seien  fleißig und ordentlich, aber ohne einen Funken  Humor.  Letzteres  würde er heute nicht mehr behaupten.  Ein schief hängendes Bild, das er gerade rücken wollte, brachte einen Hausherr dazu, ihm eine DVD mit Loriot-Sketchen vorzuführen. Seitdem  kennt  der junge Syrer fast alle Loriotschen Werke, schätzt aber auch den Sprachwitz von Heinz Erhardt und Dieter Hallervorden.  Dank Loriot könne er die Deutschen besser verstehen, sagt der junge Mann aus Aleppo. Kurios findet er allerdings  ihre Liebe zu Haustieren.

Dr. Christoph  Merkelbach, Leiter des Sprachenzentrums an der TU, war tief beeindruckt von Hamdos Deutschkenntnissen. Er habe den Konjunktiv zwei fast immer richtig angewandt und beherrsche  den Genitiv,  lobte er.   Nach seinen künftigen Zielen gefragt,  meinte  der syrische Wahl-Hamburger, dass diese von der politischen Entwicklung in  seiner Heimat abhingen. Er wolle sich gern am Wiederaufbau Syriens beteiligen -  aber nicht unter dem Assad-Regime.

Petra Neumann-Prystaj