Ein „Antichrist“, Frauenverächter und Verrückter: das sind die negativen Beinamen, die man dem genialen Denker Friedrich Nietzsche (N.) gegeben hat und das war er wohl auch alles. Dieter Heymann konnte in seinem Vortrag am 21. Mai begreiflich machen, wie der geniale Philosoph und Philologe so lebte und warum er so geworden ist. „Ecce home - Wie man wird, was man ist“ - dieser Titel eines Werks von N. war quasi das Motto des Vortrags über ihn.

Geboren in einem frommen Elternhaus, früher schmerzlicher Verlust von Bruder und Vater, aufgezogen in einem 5-fachen Frauenhaushalt ohne Vater, humanistische Bildung in einem hervorragenden, aber streng-christlichen Internat: das waren die äußerlich prägenden negativ Merkmale im Leben des jungen Friedrich N.. Dem gegenüber standen seine großen Begabungen und Neigungen: ein hoher Intellekt, vielfältigste Fähigkeiten auf musikalischem, lyrischem und sprachlichem Terrain und ganz besonders sein früh entwickelter und immer lebendiger innerer Drang, das Leben aus sich selbst verstehen zu wollen.

Das Studium der klassischen Philologie (philologia = Liebe zum Sprechen/Diskutieren) hat ihn am meisten beeindruckt und begeistert. Und das in solchem Maße, dass er 25-jährig auf Vorschlag seines Professors und Mentors selbst zum Professor in Basel wird, ohne jeden Doktorgrad oder Dissertation. Für ihn sprachen seine immense Anzahl von Veröffentlichungen, die ihn zum “Abgott der jungen Philologenwelt“ (Zitat seines Mentors) machten.

Die kurzen freiwilligen Einsätze beim Militär brachten ihm keinen Ruhm, nur Krankheiten und körperliche und psychische Folgeleiden ein, die ihn lebenslang quälen sollten. Dagegen waren ihm enge Freundschaften mit dem Musiker Wagner, dem Theologen Overbeck und dem Philologen Rohde Quellen der Freude und der Inspiration.

Obwohl N. mit seiner Lebenssituation unzufrieden war, kann er - im Gegensatz zum von ihm verehrten Schopenhauer - als Optimist bezeichnet werden. Er postulierte, dass es gerade der Schmerz im Menschen ist, der erst alles wachsen und entstehen lässt - ein überraschender und fast schon wieder christlich anmutender Gedankengang.

Schon mit 35 Jahren gibt N. seine Professur auf, um wechselweise in den Bergen (Engadin) und am Mittelmeer naturnah zu leben und sich ausschließlich als freier Philosoph dem Schreiben zu widmen. Seiner schleichenden körperlichen Umnachtung (Erblindung) folgte schließlich die geistige: nach einem Nervenzusammenbruch verfiel er mehr und mehr dem Wahnsinn. Er lebte so - gepflegt von seiner Schwester - noch mehr als 10 Jahre.

Seinen umfangreichen Nachlass konnte der Referent natürlich nur skizzieren. So seien mit „Also sprach Zarathustra“,und „Menschliches, Allzumenschliches“ zwei seiner wohl bekanntesten Titel hier kurz vorgestellt.

„Also sprach Zarathustra“ sei, so Dieter Heymann, ein wahrlich sperriges Werk und schwer zu lesen; es könne nur häppchenweise verdaut werden. Es vermittle zwei Urwahrheiten von Nietzsche:

  • Mit „Übermenschen“ wie Alexander der Große oder Karl der Große habe das Leben hohe Werte hervorgebracht (und schafft sie auch in Zukunft). Diese Werte überstrahlen auch alles Negative, die „Übermenschen“ der Welt zugefügt haben. Diese Gedanken machten N. leider auch zum Liebling der Nationalsozialisten.
  • „Die ewige Wiederkehr des Gleichen“ unterstreiche die Vorstellung N.s, dass alles stirbt und wieder aufblüht. Daraus leitete er seine Moralvorstellung ab: man muss so leben, dass man nach seinem Tod getrost wieder ins Leben zurückkehren könnte. 

Wesentlich praktischere und lebensnahe Gedanken verbreitet das Werk „Menschliches, Allzumenschliches“. Es empfiehlt u.a. eine mehr heitere und gelassene Lebensphilosophie im Geiste der antiken Stoiker. So meinte N.: „ Ein Gärtchen, Feigen, kleiner Käse und dazu drei oder vier Freunde, das war die Üppigkeit Epikurs“). Und das gefiel ihm offenbar selbst sehr.

In weiteren Schriften empfahl N. seinen Lesern auch, „das Schicksal zu lieben“; seine Kritik am Christentum wurde dagegen zunehmend radikaler (s. „Der Antichrist“).

Wenn Richard Strauss dem Philosophen mit der sinfonischen Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ ein musikalisches Denkmal setzte, so ist es beispielhaft ein Ausdruck der Nachhaltigkeit, mit der Nietzsche folgende Generationen beeindruckte. Dies gilt bis heute - die Flut der Veröffentlichungen über dessen Leben und Werk beweist es - ebenso das große Interesse der Zuhörer bei diesem lebendigen Vortrag in der Orangerie.
kpr