Schon länger hatte ich überlegt, mich in einem Patenschaftsprojekt zu engagieren und war sehr erfreut, als im letzten Semester das Projekt „Zeit nehmen – Zeit geben“ im Programm der Aka55plus neu angeboten wurde.
Ziel ist es, Kindern oder Jugendlichen aus Zuwanderfamilien ein paar Stunden im Monat zu widmen und gemeinsam mit ihnen etwas zu unternehmen, um ihnen Unterstützung bei der Integration in unsere Gesellschaft zu geben.
Als Betriebswirtin habe ich keinerlei pädagogische Vorbildung, wohl aber als Mutter zweier erwachsener Kinder; das traute ich mir zu.
Beim ersten Treffender Projektgruppe, geleitet von Sigrid Geisen und Rosa-Johanna Herzog, traf sich eine kleinere Gruppe von weiblichen und männlichen Mitgliedern. Gerade bei Jugendlichen und mit Rücksicht auf die fremde Herkunftskultur sollten die Paten das gleiche Geschlecht haben. Die Patenkinder werden u. a. vom Aufnahmezentrum des staatlichen Schulamtes vermittelt. So kam ich an Name und Adresse eines 13-jährigen Mädchens aus Afghanistan, das mit Mutter und Schwester seit Anfang des Jahres im Asylbewerberheim Alsbach-Sandwiese lebt. Da ich schon lange in Alsbach wohne, entschied ich mich spontan für diese Betreuung. Über den vom Schulamt vermittelten „Dolmetscher“ machte ich Ende März ein erstes Treffen mit der Familie aus.
Mit etwas klopfendem Herzen bin ich zum Asylbewerberheim gefahren. Es liegt abgelegen am Feldrand des kleinen Ortsteils Sandwiese. Ich war überrascht, wie bevölkert es dort wieder ist. Die Bedingungen sind erschreckend, da die Gebäude in die Jahre gekommen und sehr heruntergekommen sind. Mit Hilfe freundlicher Mitbewohner fand ich das Zimmer von Familie Y. Mit altem Inventar ausgestattet war es aber ordentlich und sauber. Dort waren die junge Mutter, die jüngere 10-jährige Tochter, die junge iranische Mitbewohnerin des Zimmers und der Dolmetscher. Dieser ist ein junger netter Mann aus Afghanistan; er wohnt seit vier Jahren im Wohnheim und spricht inzwischen gut Deutsch. Die ältere Tochter N (das vorgesehene Patenkind), war noch in Darmstadt in der Schule. Die jüngere Tochter besucht die Grundschule in Hähnlein. Die Frauen haben zweimal pro Woche Sprachunterricht im Wohnheim. Da alle aber erst kurz in Deutschland sind, war die direkte Verständigung schwierig. Dabei half uns der Dolmetscher sehr. Zunächst gab es Fragen, was ich überhaupt anbiete. Ich versuchte klarzumachen, dass ich keinen Nachhilfeunterricht gebe. Vielmehr bot ich an, dass wir zusammen Deutsch sprechen, etwas zusammen unternehmen, die Umgebung kennen lernen wollen. Ohne dass es etwas kostet, denn natürlich sind die finanziellen Mittel der Bewohner sehr begrenzt. Da wollten dann alle mit! Ich verstehe natürlich auch, dass sie einer Fremden, die sie kaum verstehen, nicht alleine ein Kind anvertrauen. Außerdem sind auch die Frauen sehr aufgeschlossen und motiviert, Deutsch zu lernen und möchten auch mal aus dem Heim rauskommen.
Eine Woche später holte ich die beiden Mädchen (also auch mein geplantes Patenkind N) und die iranische Mitbewohnerin S in der Sandwiese ab. Die Mutter hatte einen Termin und konnte nicht mit. Wir machten einen Rundgang durch Alsbach, wo ich ihnen alle Geschäfte,
Apotheken, das Rathaus, die Bibliothek und die Sportstätten zeigte. Es war ganz gut, dass wir zu viert waren, so konnte jeder etwas beitragen und auch mit wenigen Worten, die die Kinder aus der Schule kennen, kamen wir gut zurecht. S kann auch etwas Englisch. Sie ist 24 Jahre alt und ohne Familie hier. Im Eissalon gab's für jeden ein Eis, wir lernten "Waffel" und verschiedene Eissorten.
Über die Gemeinde erhielt ich Kontakt zur Sozialbetreuerin für Integration
des Kreises, die zweimal pro Woche zur Sprechstunde ins Wohnheim Sandwiese
kommt und sich auch um persönliche Belange der Bewohner intensiv kümmert.
Sie erzählte mir, dass Familie Y und auch S schon eine Aufenthaltsgenehmigung
erhalten haben und in absehbarer Zeit eine eigene Wohnung suchen sollen. Dabei
könnte ich sicherlich helfen.
Ab da haben wir wöchentlich ein Treffen ausgemacht. Mit Frau Y und S fuhr ich zur Kleiderkammer in Pfungstadt, ich besorgte über meinen Freundeskreis gebrauchte Fahrräder für die Mädchen. Aber oft war nur die Mitbewohnerin S zum vereinbarten Termin da. Mit ihr besuchte ich das Alsbacher Schloss und machte eine Radtour zum nahen Erlensee. So habe ich mich inzwischen entschieden, S als mein „Patenkind“ zu betrachten. Familie Y hat eine Wohnung gefunden und kann hoffentlich das Heim bald verlassen. S macht einen weiteren Intensiv-Sprachkurs in Darmstadt und plant, nach Frankfurt zu ziehen und dort später ein Studium zu beginnen. Ich versuche, sie bei der Wohnungssuche zu unterstützen, was im Rahmen der deutschen Bürokratie nicht so einfach ist.
Das erste Vierteljahr als Patin war sehr abwechslungsreich und brachte mir viele neue Erfahrungen durch den Kontakt zu einer anderen Kultur und dem Schicksal von Asylanten in unserer Gemeinde.
Wichtig waren die monatlichen Treffen zum Projekt in der Aka55plus. Zur Einführung gab es Informationen zum Projekt, Literaturempfehlungen zur Migration und Tipps zum Erlernen der deutschen Sprache. In den Folgetreffen stand der Erfahrungsaustausch der Paten im Vordergrund. Es laufen zwar erst drei Patenschaften, aber gerade am Anfang des Projektes gibt es auch noch viele offene Fragen für alle.
Es gibt viele andere „Patenkinder“, für die es sich lohnt, wenige Stunden im Monat Zeit zu investieren. Man gewinnt Einblicke in einen Teil der Welt, in der wir leben, ohne davon genug zu wissen! So ist es für beide Seiten ein Gewinn.
Christiane Schuchard-Ficher