Gerade noch rechtzeitig konnten wir am 2. Oktober die schon verblassende Pracht der Blumen-Rabatte im Schwetzinger Schossgarten erleben - quasi hinter unserem Rücken wurden sie gerade herausgerissen und entfernt. Aber der weitläufige Garten und Park bietet unendlich viel mehr als Blumen. Es war kein Ausflug für Fusskranke, den Aka-Mitglied Helmut Linke organisierte und fachmännisch anführte.
In der Hochblüte des Barock erbt ein adeliger Carl Theodor (1724-1799) als 18jähriger die Kurpfalz und hat während seiner langen Regentschaft mit weiteren reichen Erbschaften das Glück von friedlichen Zeiten. Er nutzt diesen Reichtum, die Macht und eigene Begeisterung, um neben anderen Künsten die Gartenbaukunst in Deutschland auf die Spitze zu treiben. So wird der bis dahin bescheidene Schlossgarten seiner Sommerresidenz Schwetzingen zum Juwel, das in Europa seinesgleichen sucht. Er verpflichtet die besten Baumeister und Gartenarchitekten (Nicolas de Pigage und Friedrich L. Schkell). Sie vereinen in ihren Ideen, Bauten und Anpflanzungen, was anderswo nur einseitig vorhanden ist: Strenge Symmetrie der französischen Vorbilder mit englischem Landschaftsgarten; Barock mit Aufklärung und Romantik. Vorbild für die Anlage ist natürlich Versailles; alle Fürsten des 18. Jahrhunderts schwärmen und träumen von einem ähnlichen repräsentativen und paradiesischen Garten, den man vom fürstlichen Schlafzimmer in weiten Teilen überblicken kann. Bei der Erstellung wird natürlich von anderen Gärten nach Herzenslust kopiert. Doch der kunstsinnige Carl Theodor fügte manches Neue hinzu.
An den zahlreich vorhandenen Sandsteinfiguren nagt der Zahn der Zeit und der Umwelt; sie sind inzwischen größtenteils durch Repliken aus Polyesterbeton ersetzt - ein sinnvoller Kompromiss. Auch manches andere ist nicht mehr original: Die Pflanzen und der Zeitgeist sind eben endlich. Der Garten enthielt (anders als heute) früher sicher neben Zierpflanzen auch jede Menge Obst- und Gemüsepflanzen (s. Prinz-Georgs-Garten in DA): die Beschaffung von Naturalien für die fürstliche Familie und ein Heer von Bediensteten war sicher nicht einfach.
Helmut Linke, von Berufes wegen jahrzehntelang mit Landschaftsarchitektur beschäftigt und begeisterter Parkliebhaber, brachte uns in fünf abwechslungsreichen Führungsstunden Theorie, Schönheit und historischen Hintergrund der Gartenkunst nahe. Er erzählte von der Leidenschaft der Herrscher für exotische Pflanzen, den technischen Problemen der Brunnenbauer, von Sichtachsen, Boskets (Waldzonen) und Fragen der Natürlichkeit eines Gartens. Er verschwieg nicht die gelegentlichen Auseinandersetzungen von Denkmal- und Landschaftschutz, die sich bei Eingriffen in die Natur häufig konträr gegenüberstehen.
Das großzügige Orangeriegebäude, der antikisierte Merkurtempel, die immer nur als Schauobjekt benutzte Moschee mit türkischem Garten, der hoch aufragende Apollotempel mit Heckentheater, das mächtige römisches Wasserkastell, das schlösschenartige Badhaus: die Liste der zu entdeckenden Kleinode im Schwetzinger Park ist lang. Für die Fotografen unter uns waren nicht nur Springbrunnen, künstliche Bachläufe und Fontänen ein reicher Schatz für Motive. Für Schlossbesichtigung und -theaterbesuch sollte man sich ein anderes Mal Zeit nehmen, so die Empfehlung unseres Führers.
Alle Gartenfreunde (und nicht nur diese) können sich auf weitere Führungen von Helmut Linke wahrlich freuen. Er hat versprochen, im kommenden Jahr weitere Exkursionen zu anderen Parks und Gärten anzubieten - ein starkes Interesse der Teilnehmer wurde bekundet. Bis dahin kann man sich von ihm die Geschichte der Gartenkunst per Lichtbild erklären lassen; der Vortrag am 20. November ist im aktuellen Programm der Aka55plus ausgewiesen.
kpr