... eine Prada-Tasche ist eine Prada-Tasche

Neulich war auf der 13. Kasseler Documenta eine südamerikanische Video-Installation zu sehen, in der unter Wasser schwimmende Indiofrauen mit den natürlichen Bewegungsformen ihrer Körper auf eine intakte natürliche Unterwasserflora hinwiesen – inmitten einer ideell und materiell irreversibel geschädigten Natur über Wasser.

 

Vor diesem unversöhnlichen Gegensatz zwischen einer quasi Rousseau’schen Einheit von Mensch und Natur und einer kaputten Zivilisation wird klar, was auf der 6. Waldkunst-Biennale Intention ist.

Und um das besser zu verstehen, gab es am Nachmittag des 26. September für 23 Aka-Mitglieder eine Führung des Waldkunst-Vereins. Denn in Darmstadt fehlt die unberührte Natur als Kontrastfolie zur Zivilisation, ist im Gegenteil Wald als wesentlicher Bestandteil eines dichten Zivilisationsraums anzunehmen. Die natürlichen Defizite des Waldes mit artifiziellen Mitteln zu „heilen“, zu substituieren, ist darum eine Hauptintention der Waldkünstler: durch künstlerische Aufladung mit neuen Bedeutungen und durch postmodernes „Spiel“ mit und an der Grenze von Natur und Zivilisation.

Immerhin, in der zehnjährigen Geschichte des Waldkunstpfads sind Topoi entstanden, wieder erkennbare Muster, zitierbare Formen der ausgestellten Kunstwerke:

  •  zuerst und immer wieder das unfertige Haus als Fremdkörper in einem Nutzwald (Projekte Luftschloß, Versteckte Kinder, Dornenturm, Tower of Immersion, Grim(m) Essen). In diesem Topos steckt eine doppelte Verneinung, das „unbehauste Haus“ bietet keinen Zivilisationsschutz gegen Naturgewalten und keinen Naturschutz gegen die Zerstörungsgewalt der Zivilisation und wird als Traum-, Rückzugs- und Fluchtort gedeutet.
  • dann die in den Wald importierte Zivilisationskritik, Wegwerf-Skulpturen aus waldfremden Materialien und gelegentlichen zivilisatorischen Abfallprodukten (Projekte Melusine, Forest Lines, Return 13)
  • weiter die stilisierte, symbolisierte Natur, durch Material- und/oder Formverfremdung abstrahierte oder funktional reduzierte Natur (Projekte Contact between the Trees, Fall and Rising, Fellbaum, Forest Lines, Return 13, Flower Trail, Treehuggers)
  • und schließlich der ambivalente Klang, Ausdruck von Kultur wie von Natur, mit gewollter Unschärfe im Übergangsbereich (Projekte Waldrand 1 - 3, Pfeifenbaum, Tower of Immersion, The Sound of a Hundred Years – Kayageum)

„Romantik“ ist ein mentaler, von einer Kombination kultureller Reize induzierter – also erlernter – Zustand. Wer nie ein Bild von Caspar David Friedrich (pars pro toto) gesehen hat, wird einen vernebelten Bergwald nicht „romantisch“ erleben, sondern bloß nasskalt und glitschig. Gegenstände, Materialien sind von sich aus niemals romantisch. Ein Baustamm ist ein Baumstamm, eine Prada-Tasche ist eine Prada-Tasche. Deswegen blieben wir urbanen Kunst- und Naturfreunde von romantischen Schaudern ganz unbehelligt – im mit Kunstwerken dekorierten „verlängerten Stadtpark“ hinterm Polizeipräsidium.

Ute Ritschel und ihr Waldkunst-Verein scheinen aber einen Zukunftspfad gefunden zu haben, am ewig deutschen Ringen zwischen Kultur und Zivilisation vorbei, hin zur Waldkunst-Bewegung, zur Maxime „global denken – lokal handeln“. Sie haben sich mit den Treehuggers, den „Baum-Umarmern“ verbündet. Jetzt darf Wald wieder als magischer Raum erfahren werden, ohne romantisch sein zu müssen.

Text: dh
Bilder: Karin Exner