Wo um Tierschutz gestritten wird, geht es meist heiß her, und eindringliche Bilder werden auf beiden Seiten benutzt: Hier der verkabelte Affe mit weit aufgerissenen Augen – dort das kleine, fröhliche Mädchen, das ohne lebensrettendes Medikament schon gar nicht mehr auf der Welt wäre. Was stimmt denn nun?
Werner Nüsseler, Fachleiter für Naturwissenschaften bei der Aka, wollte es wissen und organisierte eine Veranstaltung mit dem „Animal Welfare Officer“ der Firma Merck, Dr. Joachim Coenen.
Es ist ganz sicher ein Thema, das immer wieder die Gemüter erregt. Wer erinnert sich nicht an einen Krimi, in dem abgemagerte, verdreckte, verstörte Hunde aus einem illegalen Hinterhauslabor in letzter Sekunde aus den Händen skrupelloser „Forscher“ gerettet wurden.
In einer europaweiten Online-Befragung sprachen sich 90 % der Befragten für mehr Tierschutz aus, nicht nur für Affen, Hunde und Katzen, sondern auch für Mäuse, Hummer und Fruchtfliegen. Genau so viele Menschen freilich essen ohne Skrupel Leberwurst, Schnitzel und Hähnchenschenkel, die ja bekanntlich weder im Garten wachsen, noch vom Strauch gepflückt werden können, sondern vor dem Verzehr Teil eines lebenden Tieres waren.
Dr. Joachim Coenen, Tierschutzbeauftragter des Darmstädter Pharmaunternehmens und gelernter Tierarzt, gab am 21. Februar einen profunden Einblick in das schwierige Thema. „Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaforschung – Trends und Alternativen“ lautete sein Vortrag, der mit Fakten und Zahlen gespickt war und einen eindruckvollen Überblick über den Stand der Forschung gab.
Das Darmstädter Unternehmen führt zahlreiche Tierstudien durch, vor allen bei der Erforschung und Entwicklung von Medikamenten. Sie seien, so betont er, gesetzlich gefordert, würden extrem reguliert und kontrolliert und leider gebe es zurzeit keine nennenswerten Alternativen. Es werde aber weltweit daran geforscht.
Die Tiere, an denen chemische Wirkstoffe vor allen zum Vorbeugen und Erkennen von Krankheiten getestet werden, leben zumindest optisch quasi im „Goldenen Käfig“.
Wie Tiere in dieser Situation zu halten sind, schreibt eine EU-Richtlinie vor. Größe, Belüftung und Temperatur des Raums, Fütterung, Beleuchtung etc.: alles ist vorgegeben und wird ständig kontrolliert. Herkunft und Verbleib der Tiere werden überprüft, sie kommen von zugelassenen Züchtern und alle Personen, die mit ihnen experimentieren, müssen eine Ausnahmegenehmigung haben. Denn solche Eingriffe können natürlich mit Schmerzen und Leiden für die Tiere verbunden sein, wobei der Tierarzt, wenn es möglich ist, auch mit Narkose arbeitet.
Bedingung für die Tierversuche ist der Nachweis, dass der Zweck nur so erreicht werden kann. Der Zweck bedeutet: Vorbeugen und Behandeln von Krankheiten, Grundlagenforschung sowie eine ethisch vertretbare Abwägung zwischen dem Nutzen für die Menschen und dem Schaden für das Tier. Tierversuche sind übrigens nicht erlaubt für die Entwicklung von Waffen, Tabak, Kosmetik und Waschmittel.
Es gibt drei R-Regeln, denen die Wissenschaftler verpflichtet sind:
- Reduction: Reduzierung der benötigten Tiere
- Refinement: Verbesserung , d.h. Verminderung von Schmerz für die Tiere
- Replacement: Ersatz durch Alternativen, z.B. In-vitro-Tests oder Computermodelle
Jede Versuchsreihe muss neu beantragt werden. Den Antrag prüft zunächst der Tierschutzbeauftragte des Unternehmens, dann das Regierungspräsidium. Danach gibt die Tierschutzkommission eine Stellungnahme ab. Befürwortet sie den Antrag, ist von da ab die überwachende Behörde das Veterinäramt. Bis zu diesem Punkt dauert es meist drei Monate.
Und noch ein paar Zahlen: 10 bis 12 Jahre dauert es, bis ein neues Arzneimittel zugelassen wird.
500 - 800 Millionen € stecken in dieser Zeit in der Entwicklung.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit liegt unter einem Prozent.
99 % der Labortiere sind Mäuse und Ratten.
In Hessen wurden im letzten Jahr etwa 100.000 Nagetiere für Tierversuche benötigt (wie viel davon bei Merck landeten, durfte der Referent leider nicht sagen).
Was natürlich nicht vergessen werden darf: Die Tierversuche allein reichen nicht aus, um ein neues Medikament zu erproben: "Zuerst kommt das Reagenzglas, dann die Ratte und zum Schluss der Mensch“ – der in diesem Fall meist jung und männlich ist und dafür bezahlt und sogar gelegentlich lebensversichert wird“ erklärt Dr. Coenen.
Gäbe es heute schon ernsthafte Alternativen, wäre die Industrie sofort aktiv, betont er. „Tierversuche sind aufwändig. Die Tiere müssen gefüttert werden, in den Käfigen stinkt es…“
Solange da aber kein Durchbruch erzielt wird, seien Tierversuche erforderlich und müssten von den Universitäten und Firmen verantwortungsvoll durchgeführt werden.
hb