„Hexen und Henker in Frankfurt“ – auf den Spuren einer dunklen Zeit

folte hexenEs war der bislang wärmste Tag nach einem nicht enden wollenden Winter. Die Frankfurter hatten Shorts und Miniröcke herausgekramt und genossen jeden Sonnenstrahl, im Café, auf dem Mäuerchen, am Main. Und wir – eine Aka- Gruppe von 25 Wissbegierigen – sollten uns an so einem heiteren Tag mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte auseinandersetzen.

Erwin Fendrich, der diese Führung viele Monate vorher organisiert hatte, war trotzdem nicht traurig. Denn obwohl schauriges Wetter dem Anlass einen angemessenen Rahmen gegeben hätte, verloren die verstörenden Informationen über die unvorstellbaren Gräueltaten im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit auch bei strahlendem Sonnenschein nichts von ihrer Brisanz.

Sascha Ruehlow, unser Führer, hat sich auf dieses grausame Kapitel deutscher Geschichte in seinen Stadtrundgängen spezialisiert, und so erfuhren die Darmstädter nicht nur viele Einzelheiten der Foltermethoden, sondern auch den Ursprung diverser Redensarten, soziologische Betrachtungen anrüchiger Berufe und Wissenswertes aus der Frankfurter Welt der Quälgeister.

Wenn man von Darmstadt nach Frankfurt fährt, liegt links kurz vor dem Hauptbahnhof das Gallusviertel – heute ein Multi-Kulti-Stadtteil mit vielen Restaurants aus aller Herren Länder, kleinen Theatern und zahlreichen Begegnungsstätten. Viele sozial schwache Familien leben dort, aber es wird auch eine Menge Sozialarbeit geleistet, um die Chancen der Benachteiligten zu verbessern.

Jenes „Gallusviertel“ war in früheren Zeiten der Ort des Grauens, wovon der Name Galgentor und Galgenfeld zeugen, denn dort wohnten und arbeiteten jene Henker, die Mörder, Hexen, Dirnen und andere „Halunken“ hinrichteten. Der Galgen wurde später zum „Gallus“ umbenannt, und so können wir am Gallustor und der Galluswarte vorbei spazieren, ohne einen heftigen Schauer zu verspüren. Für kleinste Vergehen wurden im Mittelalter Hände abgehackt, Schuldige an den Pranger gestellt oder Menschen gleich hingerichtet – wobei die Art der Verstümmelung, also im minder schweren Fall, vom gesellschaftlichen Rang abhing. Wurde jemand ins Jenseits befördert, so hing sein Körper so lange am Galgen, bis er verrottet war. Bei hohem oder höchstem Besuch – Kaiserkrönung! – musste der Henker jedoch den Körper vom Galgen entfernen und selbiger bekam eine Rundum-Reinigung.

Der Henker selbst hatte eine merkwürdige Stellung: Einerseits war er gebildet – er konnte rechnen, lesen und schreiben und verfügte über recht gute medizinische Kenntnisse – auf der anderen Seite war er geächtet, und seine ganze Familie gleich mit ihm, weshalb er isoliert wohnte und eine Henkerdynastie entstand. Ein Zubrot verdiente er sich einerseits als „Arzt für die Armen“, also als Heiler, andererseits als „Oberaufseher“ der Wanderhuren, an deren Umsatz er kräftig beteiligt war. Freier und Prostituierte hatten mangels anderer Buchführung ein Holz, in das vor Vertragsbeginn eine Kerbe gehauen wurde – daher kommt der Ausspruch „etwas auf dem Kerbholz haben“. Die Damen des horizontalen Gewerbes, wiewohl stigmatisiert (sie mussten spezielle Bänder oder Erkennungszeichen tragen) hatten übrigens ein besseres Ansehen als ihr Dienstherr: Sie waren gern gesehene Gäste auf Festen, besonders auf Hochzeiten, wo sie als Symbol für Fruchtbarkeit galten.

Frankfurt war schon in der mittelalterlichen Geschichte geprägt durch Kaiserkrönung und Messe. Händler und Reisende aus ganz Europa versuchten in der freien Reichsstadt ihr Glück. Die Stadt war also schon sehr früh daran interessiert, sich ein liberales Image zu geben. Trotzdem hat es auch dort Hexenverfolgungen gegeben. Eine regelrecht Hysterie, ausgelöst durch persönliches Unglück oder Missernten z.B. hatte in breiten Bevölkerungsschichten zu Denunziations-Kampagnen geführt. Massenhaft wurden vor allen Frauen (aber auch Männer) verfolgt, denen man die Schuld an allem Unglück gab. Dies war eine Zeit der Hochkonjunktur für die Henker. In Frankfurt errichteten sie keine Scheiterhaufen, sondern wählten die elegantere Methode: Hinrichtung durch Ertränken. Die gefesselten Delinquenten wurden - manchmal sogar in Fässer eingesperrt – von der Alten Mainbrücke ins Wasser gestoßen. Man hoffte, dass sie erst außerhalb der Stadtgrenze wieder an Land gespült würden und man somit den Scherereien aus dem Wege gegangen sei.

Zwischendurch erfreute uns unser Führer es immer wieder durch deftige „Frankfurter Kost“. Da gibt es zum Beispiel zwei Quälgeister, den „Aufhockgeist“, der den Zecher daran hindert, pünktlich zu Hause zu sein. Oder das „Muhkalb“, ein Nachtgespenst. Und noch weitere Anekdoten.

Aber die sollten eigentlich in einer Extra-Führung ihren Platz erhalten, vielleicht im November/ Dezember, wenn es immer etwas gruselig ist?

hb