Man stelle sich vor: ein Jurist, bisher in Paragraphen, Amtspflichten, Rechtsfindung u.a. „verhaftet“, wird Rentner und darf plötzlich alles tun, was er bisher vermisste: den Körper mehr bewegen, Freiheit und Ruhe erleben, neue Begegnungen haben, sich selbstgewählte Themen stellen und darüber schreiben. Die Konsequenz: den Jakobsweg laufen (pilgern) und darüber ein Buch schreiben. Martin Schöler erzählte davon und las aus seinem Buch vor.
Es muss gleich am Anfang korrigiert werden: vom Pilgern im normalen Sinn konnte bei Schöler nicht die Rede sein: er stürmte mit 35 - 40 km pro Tag Santiago de Compostela entgegen. Trotzdem hat er nach eigenen Angaben alle Besonderheiten am Wegesrand erlebt und genossen: Land und Leute, die sehenswerten und die unbedeutenden Kirchen, bescheidene Pilgerherbergen, bodenständiges Essen in Bodegas und natürlich spanischen Rotwein. Ihm war die traditionelle, die einfache Art des Lebens und des Vorankommens wichtig. So wurde auch kein Meter anders als zu Fuß zurückgelegt.
Die Empfehlung des erfahrenen Pilgers Schöler für die anwesenden möglichen Nachahmer: jeder muss herausfinden, was ihm auf dem Camino („Weg“) wichtig und im wahrsten Sinne „sinnvoll“ erscheint, mag es das Tempo, die Luxusstufe, der Grad der Gemeinschaft oder der Spiritualität sein. Jeder sollte unbedingt dafür sorgen, dass er mit innerem und äußerem Wohlgefühl unterwegs ist und fröhlich und glücklich sein Ziel zu erreichen. Selbst Schöler musste erkennen, dass sein anfängliches Tempo schädlich war und bewusste Ruhepausen notwendig sind. Um so beeindruckender und - für ihn überraschend - emotional berührter kam er in Santiago an.
Dem Vortrag folgten übrigens erwartungsgemäß zwei Gruppen von Zuhörern: die Jakobsweg-Kenner, die gerne ihre privaten Weg-Erfahrungen preisgaben - und die „Möchte-gern“-Pilger mit ihren Detailfragen oder Zweifeln. Alle kamen zu ihrem Recht. Das vorgestellte Reisebuch (jederzeit beim Autor für 17,50 € erhältlich) ist mit Absicht eine Mischung von privatem Tagebuch und praktischem Ratgeber. Wander- und Herbergsführer zum Camino gibt es bekanntermaßen genug und Hape Kerkelings Bestseller ist ja auch mehr unterhaltsam als lehrreich.
Die Tipps reichen von der möglichst immer gefüllten Wasserflasche über Umgang mit anderen Reisenden bis zur Gesundheitspflege. Essenstipps wie „Pulpo“ (Tintenfisch auf galizische Art) und Herbergsstandards durften nicht fehlen. Seinen vielfältigen Begegnungen widmete Schöler einen längeren Abschnitt, aber diese lassen sich natürlich nicht planen - sie ergeben sich. Ein Pilger kommt auch mit unangenehmen Zeitgenossen zusammen, um sich möglichst rasch wieder von ihnen zu trennen. Haften bleiben aber alle positiven und fruchtbaren Zeiten menschlicher Nähe mit jungen und alten Mitpilgern bzw. der Bevölkerung. Grüßen tun sich aber aller mit dem traditionellen „Buen Camino!“.
Zum Schluss sei noch verraten, warum der Vortrag „Der Legionär auf dem Jakobsweg“ betitelt wurde. Wie auf dem Bild zu erkennen hatte Martin Schöler unterwegs eine Mütze auf, die - wie er meinte - zwar „bescheuert“ aussieht, aber bei Regen und Sonne hervorragende Dienste tut: die sog. Legionärsmütze. Und schon war sein bis heute gültiger Spitzname gefunden.
kpr