Der Rezensent fragt sich: Wie soll ich das große Universalgenie Leonardo da Vinci in maximal 40 Zeilen und rein verbal beschreiben? Werner Nüsseler hatte im jüngsten Vortrag neben den Texten vor allem erläuternde Bilder und Filme zur Verfügung und dazu noch 2 Stunden Zeit. Der geneigte Leser wird die folgende äußerst knappe Zusammenfassung entschuldigen müssen.

Vinci, der Geburtsort von Leonardo (L.), liegt nahe bei Florenz. In dieser Stadt wächst L. auf, dort ist Andrea del Verocchio sein Lehrmeister in der Malkunst. Der Legende nach soll sein Meister nach dem Erstellen eines Engelsgesichtes durch L. so beeindruckt gewesen sein, dass er danach nie mehr gemalt haben soll. Welches Lob eines Lehrers über seinen Schüler könnte größer sein? Die Studien menschlicher Köpfe, mit dem Bleistift skizziert, sind allein schon meisterhaft.

Mit L. verbinden wir heutzutage hauptsächlich die Gemälde „Das Abendmahl“ und „Mona Lisa“ oder die Bleistift-Skizze „Der vitruvianische Mensch“. Das Abendmahl hat ein einziges Makel: es ist ein Fresko und deshalb äußerst anfällig. Und die Lisa gibt sanft lächelnd ihr Geheimnis nicht preis: Ist ihr lebendes Vorbild wirklich eine Frau gewesen? Die idealisierte Menschenskizze (s. Bild) gilt als das Symbol der Ästhetik in der Renaissance.

Während seine Zeitgenossen ihn ebenfalls hauptsächlich als Maler und Architekt (z.B. vollendet er die Kuppel des Mailänder Domes) bewundern, sieht L. sich selbst und empfiehlt sich eher als Erfinder technischer Hilfsmittel aller Art. Die Medicis, seine ersten Förderer und Auftraggeber in Florenz, empfehlen ihn weiter an den Mailänder Herzog Sforza; der wird über 20 Jahre sein Arbeitgeber. Dessen erster Auftrag, ein gigantisches Reiterstandbild aus Bronze scheitert nach langer Vorarbeit kurz vor der Erstellung: die vorgesehene Bronze wird vom Herzog für dringlichere Kriegszwecke verschachert. Bei der Kunst wurde und wird in Notzeiten immer gespart.

Alle seine zum Teil fantastischen Gedanken (und Gefühle) vertraut L. seinen Tagebüchern (Codici) an. Dort finden sich die Skizzen und Texte kunterbunt hinter- und zum Teil übereinander festgehalten. Seine Vorliebe für Mechanik schlägt sich nieder in Entwürfen von Kriegsgeräten wie ein panzerartiges Vehikel, eine Eroberungsbrücke oder eine Riesenarmbrust - aber auch ein Segelfluggerät, dem Vogelflug nachempfunden, oder eine Art Roboter - die sog. Unendlichkeitsmaschine in der Theorie beschrieben. L. ist ein Beobachter oder besser gesagt Schüler der Natur: er schaut sich vieles dort ab, um es in Gedanken anderweitig umzusetzen. Wenn er einmal formuliert: „Wer wenig denkt, irrt viel“, dann scheint das zu seinem Lebensmotto geworden zu sein: möglichst viel denken.

Nebenbei seziert er Leichen, um die menschliche Anatomie besser zu erforschen - immerhin hat er so die Arteriosklerose entdeckt. Viele von seinen Ideen wie z.B. ein erster Tauchanzug oder Bewässerungssysteme großen Stils sind seiner Zeit weit voraus. Was hätte vom ihm alles erfunden werden können, wenn er 400 Jahre später gelebt hätte? Die große Breite seiner Schaffenskraft machen ihn jedenfalls unangefochten zum größten Universalgenie aller Zeiten.
Die Zeitgenossen haben es kaum (an)erkannt: L. bleibt zeitlebens arm; seine Tagebücher werden zerstreut und erst spät ihre Bedeutung gewürdigt.

Leonardo da Vinci war - wie man weiß - ein fauler Schüler - aber einer voller Fantasie. Das gibt gewisse Hoffnung für die Jugend unserer Tage - aber Faulheit und Fantasie sind selten gepaart…
kpr