- wenn es darum geht, zu beschreiben, was Mitglieder der gesellschaftlichen Elite auszeichnet, so Professor Michael Hartmann auf seinem Vortrag bei der Aka 55 plus am 23. Januar. Sie arbeiten in der Regel extrem viel, sind gut qualifiziert, haben fast alle einen Hochschulabschluss. Aber das allein reicht nicht. Es ist oft „der richtige Stallgeruch“, der den Weg nach ganz oben ebnet.
Bis auf den letzten Platz besetzt war der Vortragsraum im Literaturhaus, in den die Aka 55plus den Eliteforscher Prof. Dr. Michael Hartmann von der TU Darmstadt eingeladen hatte. Nach einem einleitenden Vortrag stellte er sich den Fragen der Moderatorinnen Petra Neumann-Prystaj und Heidrun Bleeck und des interessierten Publikums.
Schon in der Grundschule ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Akademikern für das Gymnasium empfohlen werden – bei gleicher Leistung – 3 ½ man so groß wie bei Arbeiterkindern. Neben dem Druck seitens des Elternhauses spiele dabei auch eine Rolle, dass erstere aufgrund ihres Auftretens und Verhaltens eher den Vorstellungen von einem guten Schüler entsprechen.
Auch in Bewerbungsgesprächen um leitende Positionen sind es oft weniger rationale Kriterien, die den Ausschlag geben. Im privatwirtschaftlichen Bereich haben deutsche Männer über 1,80 m aus bürgerlichen bis großbürgerlichen Familien – nach dem Prinzip der Ähnlichkeit - die größten Chancen, wenn es darum geht, Führungspositionen zu besetzen. Die Chemie, die gleiche Wellenlänge, die Begegnung auf Augenhöhe geben häufig den Ausschlag. Der Kandidat, der sich souverän in seinem vertrauten Umfeld bewegt, hat in einem System der Kooptation, bei dem wenige - manchmal nur eine Person - darüber entscheiden, wie eine Stelle besetzt werden soll, die größeren Chancen, Vertrauen zu erwecken. So ist es nicht verwunderlich, dass Vorstände und Aufsichtsräte im privatwirtschaftlichen Bereich sich zu 83% aus Bürgertum und Großbürgertum rekrutieren; Arbeiterkinder sind hier nur mit 3% vertreten.
Die Situation sieht anders aus im öffentlich rechtlichen Bereich. Hier sind 54% der Inhaber von Führungspositionen Aufsteiger, davon mehr als 10% aus Arbeiterfamilien. Wo die Akzeptanz durch Wahlen eine Rolle spielt, wie z. B. Politik und Gewerkschaft, sind die Chancen für Aufsteiger – und auch für Frauen - größer.
Je homogener und exklusiver die Eliten, desto ungleicher die Einkommensverhältnisse, so Hartmann. Während sich die skandinavischen Länder (noch?) durch relativ offene Eliten und egalitärere Einkommensstrukturen auszeichnen, hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Ländern mit eher homogenen Eliten wie den USA, Frankreich, England und auch Deutschland zunehmend vergrößert.
Mitglieder der Eliten, so die Ergebnisse wissenschaftlicher Befragungen, denken über soziale Ungleichheit anders als die Bevölkerung, aber auch hier spielt die Herkunft eine Rolle. Während zwei Drittel der befragten Eliteangehörigen aus reichem Hause diese gerecht fanden, verhielt es sich bei den Arbeiterkindern umgekehrt. So wundert es auch nicht, dass sich Letztere mehrheitlich für Steuererhöhungen aussprachen, während für diejenigen aus Bürgerlichem und Großbürgerlichem solche Maßnahmen zu 90% nicht diskutabel sind.
Während soziale Ungleichheit seit der Jahrtausendwende zugenommen hat, sieht Hartmann positive Ansätze in der Entwicklung des Schulsystems. Das Verschwinden der Hauptschule zugunsten eines zweigliedrigen Schulsystems erhöhe die Chancen der Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten auf einen Schulabschluss. Da allerdings immer noch 1/6 eines Jahrgangs ohne Abschluss die Schule verlässt, besteht dringender Handlungsbedarf.
Deutschland hat inzwischen den zweitgrößten Niedriglohnsektor nach den USA. Die veränderte Zusammensetzung des derzeitigen Bundeskabinetts, in dem alle SPD-Minister Arbeiterkinder sind, könnte möglicherweise Auswirkungen auf die Einkommensentwicklung haben, so Hartmanns vorsichtige Prognose. Die Einführung des Mindestlohns, wenn sie nicht durch zu viele Ausnahmeregelungen verwässert wird, könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.
marwen
> Lesen Sie dazu auch das Interview mit Prof. Hartmann im Darmstädter Echo