Es ist immer wieder faszinierend, wie konzentriert und kompetent Arno Angenend durch die preußische Geschichte führt.
Auch der Streik von Straßenbahnen und Bussen hatte seine Fangemeinde nicht am Kommen gehindert. So kam man eben mit dem Rad oder zu Fuß zum weiteren Ausflug in das Reich der Hohenzollern.

Es ist gar nicht so einfach bei all den Friedrichs und Wilhelms in Preußen den Überblick zu behalten, für den Referenten aber überhaupt kein Problem, phänomenal wie er den Überblick behielt, Zusammenhänge erläuterte und diese mit interessanten Einzelheiten anreicherte.

Diesmal stand eine Frau im Zentrum seiner Ausführungen, die von ihrem Ehemann missbilligend als „Feuerkopf“ bezeichnet wurde. Augusta, die zweite Tochter des Großherzogs Carl Friedrich und der Großfürstin Maria Pawlona, wurde 1811 in Weimar geboren. Sie erhielt eine umfassende Bildung, die liberale Atmosphäre am Weimarer Hof prägte Augusta.

Sie war erst fünfzehn Jahre alt, als sie 1826 dem Prinzen Wilhelm von Preußen, begegnete, den sie 1829 heiratete. Es war vor allem dessen Vater, Friedrich Wilhelm III., der ihn bedrängte, Augusta als Ehepartnerin in Erwägung zu ziehen. Wilhelm selbst war zu diesem Zeitpunkt noch heftig in die polnische Prinzessin Elisa Radziwill verliebt. Eine eheliche Verbindung mit ihr kam jedoch nicht in Frage, da sie nicht „ebenbürtig“ war.

Augusta begann bald, sich an dem militärisch-nüchternen Königshof in Berlin zu langweilen. Die Wahrnehmung karitativer Aufgaben und Funktionen, die dieser Langeweile hätte entgegenwirken können, blieb ihrer Schwägerin, der Kronprinzessin Elisabeth, vorbehalten. Gleichzeitig fing Wilhelm an, sich am regen und kritischen Geist seiner nicht einmal zwanzigjährigen Gattin zu stören. Berichte, die sie für ihn schrieb, las er erst gar nicht.

Augusta war ein politisch sehr interessierter Mensch; insbesondere ab dem Jahre 1845 begann sie, sich intensiv mit politischen Fragen auseinanderzusetzen. Ihr Schwager Friedrich Wilhelm IV. weigerte sich, seinem Land eine Verfassung zu geben, und regierte weit konservativer, als Augusta gehofft hatte. Für die blutigen Auseinandersetzungen in Berlin im März 1848, als das Militär mit Kartätschen und Granaten auf die demonstrierende Berliner Bevölkerung losging, machte die Bevölkerung den für das Militärische zuständigen Wilhelm verantwortlich. Um den Volkszorn zu beruhigen floh Wilhelm „auf Bitten seines königlichen Bruders“, mit seiner Familie nach London. Augusta verstand sich hier hervorragend mit Queen Victoria und bewunderte die liberale Monarchie.

In liberalen Kreisen Preußens wurde ernsthaft die Idee diskutiert, ob das Königspaar nicht abdanken und stattdessen Augusta die Regentschaft bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes übernehmen sollte.

Wilhelm wurde 1849 zum Generalgouverneur der Rheinprovinz ernannt, und im Frühjahr 1850 bezog Augusta gemeinsam mit Wilhelm ihre neue Residenz in Koblenz. Augusta fühlte sich in Koblenz sehr wohl; hier hatte sie endlich die Gelegenheit, ein Hofleben zu gestalten, wie sie es aus ihrer Kindheit am Weimarer Hof gewöhnt war. Die Koblenzer Jahre gelten als ihre beste Zeit. Noch heute wird jedes Jahr in der Stadt das Augustafest gefeiert. Kritisch wurde Augustas tolerante Haltung gegenüber dem Katholizismus beäugt, die in der Koblenzer Zeit besonders offensichtlich wurde – eine Haltung, die man bei einer preußisch-protestantischen Prinzessin als unpassend empfand.
 
1858 heirateten Sohn Friedrich und die erst siebzehnjährige Victoria, genannt Vicki, die Tochter der Königin Victoria von Großbritannien. Diese Eheschließung zählte Augusta zu den wenigen Triumphen, die sie erringen konnte. Gleichfalls im Jahre 1858 wurde Wilhelm als Regent eingesetzt, nachdem sein Bruder nach mehreren Schlaganfällen nicht mehr regierungsfähig war. Augusta musste das von ihr geschätzte Koblenz wieder verlassen und kehrte gemeinsam mit ihrem Mann nach Berlin zurück. Wilhelm benannte Minister, die für eine liberalere Politik einstanden und von denen viele am Koblenzer Hof verkehrt hatten. Die konservativen Gegner sahen in dieser Auswahl das Wirken Augustas, tatsächlich war ihr politischer Einfluss auf Wilhelm jedoch eher gering. Sie konnte auch nicht verhindern, dass ihr Mann den von ihr gehassten Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten berief. Augusta betrachtete Bismarck als ihren Todfeind; Bismarck wiederum verachtete Augusta für ihren Einfluss auf Mann und Sohn. Augusta stimmte Bismarcks Politik, die keinem Krieg aus dem Weg ging, nicht zu und arbeitete gegen ihn. Gleichzeitig entfremdete sie sich immer mehr von ihrem Mann.

Der Preußenkenner Arno Angenend schilderte Augusta zwar als intelligent und politisch neugierig, ihr fehlte jedoch jegliches Fingerspitzengefühl und diplomatisches Vorgehen. Während der überwiegende Teil der preußischen Bevölkerung über den Sieg bei Königgrätz jubelte, betrauerte Augusta die Gefallenen und Verletzten. Immerhin war es ihr als Königin von Preußen nun möglich, sich karitativ zu betätigen. Noch heute existieren Krankenhäuser aus dieser Zeit.

So wie Augusta dem Krieg 1866 ablehnend gegenüberstand und für diesen vor allem Bismarck verantwortlich machte, war sie auch eine Gegnerin des Krieges von 1870/71, der ihr jedoch am 18. Januar 1871 die Kaiserkrone eintrug. Sie selbst wollte nicht Kaiserin sein.

Ihre persönlichen Auseinandersetzungen mit Bismarck setzten sich auch nach 1871 fort. Im Kulturkampf, der sich vornehmlich gegen die katholische Kirche richtete, ergriff sie entschieden Partei für die katholische Kirche. Es gelang ihr, Wilhelm dazu zu überreden, die katholischen Orden, die krankenpflegerische Dienste versahen, nicht wie die anderen Orden zu vertreiben. Diesem ersten kleinen Teilsieg folgten weitere, und bis 1878 musste Bismarck nahezu alle Zwangsmaßnahmen gegen die katholische Kirche wieder zurücknehmen. Bismarck empfand dies als persönliche Niederlage und sah die Schuld bei der Kaiserin, auf die er immer wieder die Presse hetzte. Augusta begrub ihre Abneigung gegen Bismarck erst in ihren letzten Lebensjahren. Sie begrüßte seine Sozialgesetzgebung.

Im Jahre 1888 starben Mann und Sohn. Sie konnte noch erleben, dass ihr geliebter Enkel Wilhelm Kaiser wurde.

Wieder waren mit preußischer Exaktheit neunzig spannende Minuten vergangen und man kann schon gespannt sein auf die beiden nächsten Veranstaltungen im April.

sg