Die Schauspielerin Margit Schulte-Tigges im Gespräch mit der Aka
„Lasst mich den Löwen auch spielen“, bittet der Handwerker Zettel im Sommernachtstraum.
Margit Schulte-Tigges brauchte nicht lange zu bitten – der König der Tiere war ihr sicher. Allerdings nicht der von Shakespeare erdachte, sondern der „Feige Löwe“ aus dem Zauberer von Oz, der auf der Suche nach mehr Mut ist. Es war eine von 200 Rollen, die die zierliche Schauspielerin in ihrer langen Bühnenlaufbahn gespielt hat.
In der Reihe „Aka im Gespräch“ gewährte die 1943 in Leipzig geborene Schauspielerin Einblicke in ihr Leben und ihre Theatererfahrungen. Mit großer Offenheit beantwortete sie die Fragen von Petra Neumann-Prystaj und Mika Dietrich. Das Publikum dankte ihr dafür mit langem Applaus.
Zum Theater kam sie schon im zarten Alter von fünf Jahren, nachdem ihre Mutter sie bei einer Schauspielschule angemeldet hatte. Ihre erste Rolle war eine Brieftaube – das weiße Kleidchen hat sie bis heute aufbewahrt. Ihre Eltern verließen die DDR und wurden in Darmstadt heimisch. Auf der Viktoriaschule, die sie besuchte, gab es damals zwar keine Theater-AG, wohl aber auf der Lichtenbergschule, auf der ihr Bruder war. Er empfahl sie dort und so spielte sie schon als Teenager die großen Frauenrollen. Der Weg in die „richtige“ Schauspielkarriere führte dann aber doch aus Vernunftgründen über einen Umweg: Sie ließ sich zur mathematisch-technischen Assistentin ausbilden und heiratete ihren Chef.
Dann aber war’s endlich soweit. Sie wurde an der Schauspielschule in Frankfurt angenommen und vom legendären Joseph Offenbach unterrichtet. Eine ihrer Mitschülerinnen, mit der sie bis heute befreundet ist, war übrigens Ulla Berkewicz, heute Suhrkamp-Chefin. Im Gegensatz zu Margit Schulte-Tigges, die den Weg über Provinzbühnen einschlug, lehnte die spätere Frau Unseld dies ab und ging gleich an ein Theater im ungleich bedeutenderen Köln.
Der Weg über die kleinen Bühnen in Celle, Hildesheim und Kassel habe sich gelohnt, meint die Darmstädter Schauspielerin, sie habe dort eine Menge gelernt und viele große Rollen gespielt. Dann aber ging es endlich in Richtung Heimat: Zweimal zehn Jahre war sie in Darmstadt engagiert – dazwischen lagen noch 12 Jahre im nahen Mainz. Dass sie in diesem Jahr mit dem Intendantenwechsel gehen musste (12 Intendanten hatte sie bis dahin „überlebt“), hat sie tief getroffen. Sie hatte es zwar nicht anders erwartet, immerhin ist sie ja schon im fortgeschrittenen Rentenalter, aber ein Fünkchen Hoffnung war trotzdem da gewesen – zumal sie mit der Rolle der Martha aus „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ zum Abschied noch einmal bewiesen hatte, was in ihr steckt.
Würde sie jungen Menschen raten, zum Theater zu gehen? Sie würde! Trotz geringer Bezahlung, schwierigen Familienlebens, großer körperlicher Anforderungen und der Aussicht, bei jedem Intendantenwechsel eine Kündigung zu bekommen. Ihre Entlassung habe sie noch nicht ganz überwunden, sagt sie, aber ganz allmählich entdecke sie gerade die Vorteile der Langsamkeit. Was sie am meisten vermisst? Das tolle Darmstädter Publikum, das ihr einen Abschied beschert habe, den sie nie vergessen werde.
Vielleicht, meinte ein Zuhörer zum Schluss, gebe es ja doch mal wieder die eine oder andere Gastrolle für sie. Die neuen jungen Theatermacher am Staatstheater sollten über diesen Wunsch aus den Reihen des Publikums vielleicht mal nachdenken.
hb / Fotos: Gerald Block