Wie Pfarrer Martin Schneider aus der Stadtkirche eine Kulturkirche machte

parrer martin schneider 170Genüsslich und mit dem Charme des erfahrenen Erzählers unterhielt Pfarrer Martin Schneider, seit 27 Jahren in der Darmstädter Stadtkirche, seine Zuhörer in der Reihe „AKA im Gespräch“ im Staatsarchiv.

Er schilderte die Kontaktaufnahme mit prominenten Autorinnen und Autoren, seinen gepflegten persönlichen Abhol- und Hotelservice genau und belegte seine Geschichten mit interessanten, wenig bekannten Fotos. Oft ergaben sich feine Beziehungen oder gar Freundschaften als Folge eines Leseabends bis nach Wien und in die Schweiz.

Diese Nähe zu den Schriftstellern erleichtert das Wiederholen der Einladung im nächsten Jahr. Presse, Plakate und ein handliches Programm mit Seiten-Portaits der Künstler sorgen weiterhin zuverlässig für öffentliches Interesse.

Das Aka-Publikum lauschte diesen sehr amüsanten und kurzweiligen Erzählungen weit über eine Stunde lang. Alles klang so glatt harmonisch und für die kleinen Ausfälle oder Pannen hatte Schneider stets originelle und glaubhafte Lösungen parat. Kritischen Köpfen unter den Zuhörern stellte sich Frage: Verwandelt sich die Stadtkirche ab und zu in einen ‚literarischen Himmel’ oder wo liegen die Ursachen für so eine Erfolgsgeschichte, die sich ja neben dem Kerngeschäft abspielt.

„Kultur ist auch Seelsorge“, erklärte Schneider, seit 27 Jahren Pfarrer der Darmstädter Stadtkirche, die schrittweise Umgestaltung seines kirchlichen Auftrags seit dem Jahr 2000. Er baut auf sein Publikum, dessen Eintrittsgeld auch den Grundstock seines Etats bildet. Spenden und öffentlich Zuschüsse runden den Etat ab. Aber die wirtschaftliche Seite dieses Literaturbetriebs ist für Schneider kein großes Thema. Er will Menschen durch anrührende Geschichten in die Kirche locken, nicht missionieren. Der Pfarrer ist überzeugt, dass die Bibel auch nur Literatur sei und dass gut formulierte Besinnungsworte sein Publikum besser erreichen als die oft langweiligen Predigten der Theologen. Für ihn waren die letzten 15 Jahre ein Entdeckungsprozess. „Der Geist authentisch erlebbarer Literatur kommt dem nahe, was wir Gott nennen“, so Martin Schneider. Die Hälfte seiner Arbeitskraft investiert er in kulturelle Events. Neben Ausstellungen, Jazzkonzerten und Laienpredigten organisiert Martin Schneider jährlich sein höchst prominentes Literaturprogramm, das einen festen Publikumsstamm hat.

Seine Gemeinde mit 2500 Mitgliedern habe treu mitgezogen, so dass bei einem ‚Literarischen Herbst’ mit 30 Leseabenden nahezu 5000 Besucher in die Kirche gekommen seien. Trotzdem sieht er seine Rolle eindeutig als Pfarrer und nicht als Eventmanager. Die Frage, ob er sich für die von Ausdünnung bedrohte Kirche mit seiner “Kulturkirche“ als Pionier sehe, verneinte er etwas zögerlich mit seiner herzbetonten, empathischen Berufseinstellung. Er will Menschen bewegen und ist glücklich darüber, mit dem gebildeten Darmstädter Publikum so viele fruchtbare Beziehungen erleben zu können.

wsw

> Lesen Sie dazu auch den Artikel im Darmstädter Echo