Seligmachende Theorien hat Elke Decker nicht versprochen, sondern einen Vergleich der Textformen der Bibel und der Märchen. Lebenslang haftende Bilder in der persönlichen Beziehung zur Religion und hinsichtlich der Märchen durch Sprache bilden zentrale Elemente der Erziehung. Insofern bedarf eine Untersuchung beider Erzählformen anhand einer Gegenüberstellung der Beachtung.

Beide Textformen versuchen, den Leser durch eine positive Spannung zu berühren. Sowohl Bibeltexte als auch unsere Märchen verwenden Probleme, Unglücke, Kämpfe, Vertreibung und Gefahren, aber auch Lösungen durch Sieg, Versöhnung und Erlösung als Plot. Oft spielen die ‚magischen’ Zahlen 3, 7 oder 12 eine Rolle. Viele Geschichten haben einen etwas geheimnisvollen Hintergrund, wie Wald, Nacht oder Dämmerung. Das erleichtert eine mehrfache Deutung der Geschichten und erweitert den Rahmen für therapeutische Nutzungen. Eine Erklärung erübrigt sich. Dem Leser werden häufig die Schwachen, Unterdrückten oder Armen als unterstützenswerte Figuren angeboten, die er mit seiner Sympathie begleiten (und vermeintlich stärken) kann. Lösungswege sind oft mit Widrigkeiten gespickt. Das Volk Israel, der junge David, Hänsel und Gretel, Aschenputtel oder Sterntaler sind nur einige der von Elke Decker ausgewählten Beispiele.

Im Gegensatz zu den Märchen nimmt die Bedeutung der biblischen Geschichten in der heutigen Gesellschaft ab. Theater, Film und Literatur erwerben die Rechte und verändern die Stoffe manchmal bis zur spektakulären Verfälschung. Die biblischen Geschichten werden von uns gelegentlich symbolisch verstanden. Niemand wundert sich, dass die Schlange spricht, wenn sie Eva zum Apfelbiss verlockt. Tiere sprechen, Engel treten auf. Die Vertreibung aus dem Paradies fordert von den Menschen eine neue Verantwortung mit wachsender Selbständigkeit. Die Bibel soll dem Leser eine Gotteserfahrung vermitteln, während die Märchen Alltagserfahrungen aufgreifen, also die Beziehungen zwischen den Menschen beschreiben. Raum und Zeit verlassen dabei gelegentlich die Realität; die Geschichten sollen auf die Denkweisen und Handlungen der Menschen „zum Guten“ hin wirken.

Bei der Betrachtung der Märchentexte und Bibelstellen stieß Elke Decker wiederholt auf bekannte Sprüche und Alltagweisheiten, was zur Weiterbeschäftigung anreizt!
wsw (29. Juni 2015)