Während sich Darmstadt in Richtung Osten kaum entwickeln kann, boomt es bei unserem großen Nachbarn Frankfurt in diese Richtung enorm. Ein Rundgang durch das Viertel in Sichtweite seines neuen Wahrzeichens, dem kühnen Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB), macht es dem Betrachter deutlich.
Unser Führer ließ uns mit Wort und Blick verfolgen, wie sich das Ostend vom ehemals reinen Arbeiterviertel mit schmuddeligem Hafenflair nun zu einem Luxus-Quartier mit Banken-Monolith als Zentrum entwickelte. Wo früher die Flößer ihre Baumstämme zusammenbanden oder Baustoffe umgeschlagen wurden, wohnen zahlungskräftige Familien in modernen Wohnhaus-Würfeln. Selbst ein bekannt-berüchtigtes Bordell („Sudfass“) musste inzwischen den neuen geschäftstüchtigen Investoren der Immobilien-Lobby weichen. Die vierstöckigen Mietshäuser alter Prägung wechseln fast komplett ihr Klientel und damit ihren Stil: Banker statt Bahnarbeiter, edles Design statt Rotlicht, Lounge-Bistro-Bar statt Bierkneipe etc.
Nach dem starken Niedergang der Hafen-abhängigen Wirtschaft ist auch weiterhin noch viel Platz für Neues. Nahe dem Ostbahnhof ist das sogenannte Honselldreieck zur Zeit brach liegend und damit zum heißen Spekulationsobjekt geworden: Rund 1000 neue Wohnungen der gehobenen oder luxuriösen Klasse sollen dort entstehen. Den eigentlichen Osthafen gibt es zwar noch; er ist aber noch weiter nach Osten gedrängt worden. Die Hafenbahn am Main entlang, Bindeglied zwischen Ost- und Westhafen, gibt es noch. Sie ist aber eher ein Demonstrationsobjekt alter Technik geworden, ähnlich wie die verbliebenen dekorativen Verladekräne und Güterwagen. Die Hanauer Landstraße hat sich zum Mekka der Auto-Interessenten gewandelt, eine kleinere, aber dauerhafte IAA sozusagen. Alle bekannten Marken reihen sich dort in ihren Glashäusern nebeneinander.
Beschaulich geht es dagegen an der Uferpromenade des Mains zu. Von der neuen Osthafenbrücke (Ende 2013 fertiggestellt) bietet sich dem Betrachter das weitläufige Gelände mit Spielflächen und Park im Vordergrund, EZB als unübersehbares Monument und dem dichten Hochhaushaufen der Innenstadt Frankfurts als Hintergrund-Kulisse dar.
Apropos EZB: Unser Touristenführer wusste natürlich bemerkenswerte Details über diesen Hingucker zu berichten. Das Wiener Architektenbüro „coop himmelblau“ hat das geliefert und hingestellt, was ein Neubau für einen solchen Auftraggeber als Adjektive braucht: spektakulär, geschützt, teuer, nachhaltig, modern, kühn, großzügig,…, einfach ganz anders. Wenn sich der blaue Himmel in der Fassade des Glaspalastes spiegelt, wird der Name der Erfinder quasi optisch dargestellt. In besonderer Weise wird auch die ehemalige und denkmalgeschützte Frankfurter Großmarkthalle - selbst schon wegen ihrer Größe eine Sensation von 1929 - in den Banken-Komplex mit einbezogen. Die Halle mit ihrem frei tragenden Dach ist für die Öffentlichkeit bestimmt, wird allerdings erst demnächst geöffnet sein. Ähnliches gilt für eine Gedenkstätte, denn die Großmarkthalle hat zusammen mit dem Ostbahnhof eine unrühmliche Rolle bei der Verladung Frankfurter Juden in Richtung der Konzentrationslager gespielt.
Es gibt also Anlass genug, in ca. 2 Jahren erneut das Ostendviertel aufzusuchen. Es wird sich wieder bemerkenswert verändert haben. Ob zum Wahren, Schönen oder Guten, mag jeder selbst beurteilen. Zumindest war aber aus dem Kreis der Teilnehmer zu vernehmen, dass die modernen Straßen keinen Flair ausstrahlen. Was dann? Fahren Sie hin, bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil!
Text und Bilder: kpr
Einen Videofilm von Werner Nüsseler zu diesem Rundgang findet man >hier