Was passiert, wenn man über 30 Jahre in der Politik aktiv war, es ganz nach oben geschafft hat und dann doch irgendwann mal pensioniert wird? Fällt man in ein tiefes Loch? Schreibt man seine Memoiren? Verdient man jetzt als Berater richtig viel Geld? Nichts dergleichen, sagten die beiden ehemaligen Berufspolitikerinnen Ruth Wagner (FDP) und Otti Geschka (CDU).
Stattdessen engagieren sich beide ehrenamtlich in zahlreichen Vereinen und Initiativen, kümmern sich um Familie und Verwandtschaft und werden immer wieder eingeladen, um über ihre Erfahrungen zu berichten. So auch bei der Akademie 55plus.
Die beiden Ex-Politikerinnen haben vieles gemeinsam: Geboren im 2. Weltkrieg, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in einem Dorf, erkämpften sie sich den Zugang zu Bildung und Beruf. Ruth Wagner wurde Gymnasiallehrerin, Otti Geschka Kinderkrankenschwester. Zur Politik kamen sie auf ganz unterschiedlichen Wegen.
Ruth Wagner trat 1971 in die FDP ein. Damals unterrichtete sie an der Viktoriaschule Deutsch, Geschichte und Politik. Fünf Jahre später wechselte sie an das Hessische Institut für Bildungsplanung. Ein Jahr später übernahm sie den Vorsitz des FDP-Kreisverbandes in Darmstadt. Und dann ging es steil bergauf: Mitglied des Landesvorstands in Hessen, Mitglied des Bundesvorstands, stellvertretende Landesvorsitzende, Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, stellvertretende Ministerpräsidentin. Last but not least Ehrenvorsitzende der FDP.
Otti Geschkas politische Tätigkeit begann 1968 als Mitglied der Gemeindevertretung in Bauschheim. Die mit einem Professor verheiratete Mutter von zwei Kindern hatte sich über katastrophale Zustände im Kindergarten – eine Erzieherin für 40 Kinder – geärgert. Sie war dann Mitglied des Kreistags Groß-Gerau, Mitglied des Hessischen Landtags, Staatssekretärin, stellvertretende Landesvorsitzende, Generalsekretärin der hessischen CDU. Zwischendrin wurde sie auch über Hessen hinaus bekannt: 1993 nämlich wurde sie die erste hessische Oberbürgermeisterin. Die Rüsselsheimer wählten sie, obwohl ihre Partei keine Mehrheit hatte.
Die beiden Politikerinnen haben sich immer wieder getroffen, in der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung wie im Wiesbadener Landtag. Sie schätzen sich sehr und machten deutlich, wie man über Parteigrenzen hinweg gut zusammenarbeiten kann. Mit großer Offenheit und Eloquenz berichteten sie über Erfolge (siehe Liste) und Misserfolge. Was war die schlimmste Erfahrung? Ruth Wagner nennt die Spendenaffaire, als sie mit Kritik und verbalen Demütigungen und Gemeinheiten überschüttet wurde. Otti Geschka war am Boden zerstört, als ihr Versuch, ein zweites Mal Oberbürgermeisterin zu werden, scheiterte.
Was würden die beiden „Vollblutpolikerinnen“ jungen Menschen raten, die mit dem Gedanken spielen, in die Politik zu gehen? Sie sollten dafür „brennen“, sich nicht einschüchtern lassen, eigene Ansichten selbstbewusst vertreten, sich nicht unterkriegen lassen.
Wer das hinkriegt, kann dann mit Mitte 70 auf ein gelungenes Politikerleben zurückblicken. So wie Ruth Wagner und Otti Geschka.
hb