Das Motiv des Wiesbadener Diplompsychologen Achim Königstein, einen Überblick der aktuellen Demenz-Literatur zu geben, ist ein Beitrag zur Enttabuisierung des immer noch etwas peinlichen Themas. Die Fachleute rechnen mit einer Verdoppelung der Krankheitsfälle in den nächsten 30 Jahren. Insofern ist die Annäherung an das Thema über die Literatur sehr hilfreich.
Königstein stellte 11 Bücher vor; sechs Erlebnisberichte mit dokumentarischen Anteilen und fünf rein belletristische Werke. Wenige Auszüge aus Fachzeitschriften ergänzten seinen Vortrag.
Der Referent stellte zunächst anhand der bekannten Bücher von Tilmann Jens und Arno Geiger die Erfahrungen der beiden Autoren vor, die sie mit ihren dementen Vätern gemacht haben. Dabei trat zu Tage, dass die literarische Bearbeitung auch als nachgeholte Gespräche gesehen werden können. Arno Geiger bezieht in „Der alte König in seinem Exil“ die ganze Familie in den langen Lernprozess mit ein, bis er und die Angehörigen erkennen, dass das immer kantiger werdende Verhalten des Vaters eine Krankheit ist. Tilmann Jens wurde von vielen Kritikern für einige Szenen in dem Buch „Abschied von meinem Vater“ regelrecht ‚zerrissen’, so dass er mit einem Antwort-Buch „Vatermord“ versuchte, mit sich wieder ins Reine zu kommen. Wie schwer die Akzeptanz der Krankheit beim Betroffenen sein kann, wenn er selbst noch spürt, was da passiert, gipfelt bei Lisa Genova („Mein Leben ohne gestern“) in der rhetorischen Frage ‚Hätte ich lieber Krebs?’
Häufig wird der Kampf gegen demenzielle Erkrankungen beschrieben, der aber nie ein Happy End haben kann, denn Demenz ist eine stufenweise Abwärtstreppe, die im totalen Vergessen und schließlich mit dem Tod endet. In lakonischer Weise beschreibt der Schweizer Martin Suter mit dem Buch „Small World“ den Weg zu einem anderen Umgang mit der Demenz, indem sich sein Protagonist erdachte Linderungen ausmalt und darin lebt. Dieser Roman entbehrt jedoch jeder glaubwürdigen Grundlage; Demenz ist (bis heute) immer eine Einbahnstraße. Als Leseempfehlung für Einsteiger nennt Herr Königstein zum Schluss den Roman von Peter Farkas „Acht Minuten“, eine kurze, gut lesbare innige Liebesgeschichte, in der das Paar, trotz aller Einschränkungen und ‚Katastrophen’ die Krankheit auf den zweiten Platz verweist - hinter ihrer Liebe.
wsw