Dr. med. Michael Wild ist seit 4 Jahren Handchirurg am Klinikum Darmstadt und Direktor der Chirurgischen Klinik II – Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie. Seine Ausführungen stießen auf großes Interesse, als er auf Einladung der Aka55plus im Offenen Haus referierte.
In Deutschland werden pro Jahr 300.000 Operationen des Karpaltunnels durchgeführt, so Dr. Wild. Er stellte die OP als einfach dar, aber nicht ohne Tücken. Sie sollte daher nur von ausgebildeten Handchirurgen durchgeführt werden.
Der Karpaltunnel ist eine tunnelartige, von Bindegewebe fest umschlossene Röhre vom Unterarm zur Hand, durch ihn geht der Mittelhandnerv (nervus medianus). Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Engpasssyndrom eines peripheren Nerven, informierte der Referent.
Frauen sind häufiger betroffen als Männer, rund 15% der Bevölkerung, vor allem zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr.
Typische erste Symptome sind auftretende Schmerzen oder Missempfindungen (Taubheitsgefühle, Kribbeln), die mit Schwerpunkt im Versorgungsbereich des Mittelhandnerves von der Hand in den gesamten Arm ausstrahlen können. Zunächst treten die Beschwerden während und vor allem nach Belastung des Handgelenks auf, z. B. nach körperlicher Arbeit oder beim Fahrradfahren. Später kommt es aber auch ohne erkennbaren Anlass zu nächtlichen Beschwerden. Schließlich treten die Beschwerden auch zunehmend tagsüber auf und es kommt durch eine Druckschädigung von Nervenfasern zu einem Muskelschwund der Handmuskulatur, deutlich sichtbar im Bereich des Daumenballens. Feinmotorik und Sensibilität können vermindert sein, betroffen sind in der Regel die ersten drei Finger, entsprechend dem Versorgungsgebiet des Mittelhandnervs.
Die Ursachen für diese Erkrankung sind vielschichtig und noch nicht abschließend geklärt. Durch eine Einengung des Karpaltunnels wird der Nerv geschädigt. Zumeist entsteht das Karpaltunnelsyndrom bei Veränderungen des Karpaltunnels , bei konstitutioneller Enge, wenn eine Gewebeschwellung durch eine mechanische Überlastung, eine Entzündung oder durch Allgemeinerkrankungen hinzukommt. Auch kann es infolge von Handgelenk- oder Unterarmfrakturen und Narbenbildungen auftreten.
Inzwischen ist es gesichert, dass auch Hormone eine wesentliche Rolle spielen. Im Kontext einer Schwangerschaft kann das Abklingen der Symptomatik nach Abschluss der Geburt erwartet werden.
Auch wenn Anamnese und der körperliche Untersuchungsbefund häufig für ein Karpaltunnelsyndrom charakteristisch sind, kann nur die Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten die Diagnose sichern helfen. Keine Operation ohne elektrophysiologische Messung, fordert der Referent.
Dr. Wild sprach sich uneingeschränkt für eine Operation aus: Konservative Therapien helfen nur vorübergehend. Im Anfangsstadium des Karpaltunnelsyndroms kann eine konservative Behandlung versucht werden. Das Tragen spezieller Nachtschienen vermag die Beschwerden zumindest für eine Zeit lang zu beseitigen oder abzumildern. Als unterstützende Therapie können schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente eingesetzt werden.
Ein operativer Eingriff wird bei andauernden Beschwerden trotz konservativer Behandlung eingesetzt, um bleibende Schäden zu vermeiden. Der Eingriff ist auf jeden Fall vor dem Auftreten einer Muskelatrophie indiziert. Die Operation wird in der Regel ambulant durchgeführt. Ziel ist die vollständige Spaltung des Retinaculum flexorum, jenes Bandes welches die Handwurzelknochen überspannt und den Karpaltunnel begrenzt. Der früher größere Schnitt bei einer OP wird heute meist durch die Mini-Inzision abgelöst.
Der Eingriff ist eine der häufigsten Operationen für einen Handchirurgen, dauert nur wenige Minuten und ist sehr sicher, d. h. die Komplikationsrate liegt bei unter 1%. Die Ergebnisse sind bei rechtzeitiger Durchführung sehr gut: der Druck sinkt schon bei der OP, der nächtliche Schmerz bessert sich sofort.
Sehr kritisch betrachtete Dr. Wild die endoskopischen Verfahren. Er sieht gegenüber den offenen Techniken keine eindeutigen Vorteile, aber ein doppeltes Risiko. Vor allem besteht die Gefahr der Verletzung des Nervus medianus, insbesondere eines kleinen Seitenastes, der zum Daumen führt, so Dr. Wild. Eine unvollständige Eröffnung des Karpaltunnels führt manchmal dazu, dass später noch einmal operiert werden muss. Auf keinen Fall darf eine komplette Nervendurchtrennung passieren.
Zahlreiche Fragen während des Vortrags und im Anschluss, vor allem zum OP-Verfahren, zeugten von großem Interesse an dem Thema.
sg