Die eigenwilligen Klänge der „Glagolitischen Messe“ führten in Werk und Leben des tschechischen Komponisten Leoš Janáček ein. Das Konzert-Stück zeigt symptomatisch die wichtigsten Antriebsfedern dieses exzentrischen Menschen an: ungewöhnliche Musik und glühender Patriotismus. Denn "Glagolitisch" ist eine altslawische Kirchensprache, die Janáček aus der Vergessenheit holen wollte.

Norbert Irrgang begann seinen Vortrag mit den mehr negativen Charakterzügen des vorgestellten Menschens: seine Liebe zur slawisch-tschechischen Sprache war fast fanatisch, der in Tschechien damals vorherrschenden deutschen Sprache verweigerte sich Janáček. Starrsinn, Jähzorn, Zerrissenheit, Despotismus, Depression - unter diesen seinen Eigenschaften litten nicht nur die Ehefrau, sondern auch Familienangehörige und Freunde.

Die Heimatverbundenheit und die musikalische Begabung wurden Janáček in die Wiege gelegt: Vater und Großvater waren Volksschullehrer, die - wie er später auch - die slawische Kultur in Sprache und Musik erhalten wollte, ohne sich vollkommen von der deutsch-österreichischen Kultur abgrenzen zu wollen. Geboren im Osten von Tschechien, wird er in Brünn nicht nur schulisch und universitär ausgebildet, sondern bleibt dort quasi sein Leben lang als Musiklehrer, Komponist und Dirigent.

Im Gegensatz zu den Landsleuten Smetana und Dvorak ist Leoš Janáček heutzutage seltener in Konzertsälen zu hören; das mag an seinem unromantischen, rauhen und wilden Kompositionsstil liegen. Trotzdem gilt er als bedeutender Opernkomponist und Erneuerer der Musik. Sein sinfonisches Bestreben ging soweit, dass er versuchte, der Natur ihre Töne abzuhören, und sie instrumental nachbildete, seien es Vogelstimmen, Wasser- und Windlaute etc.. Daneben versuchte er den normalen Sprachduktus des Menschen musikalisch umzusetzen. Eine große Sammlung mährischer Volkspoesie, die er zum Teil vertonte, zeigen seine Kunstfertigkeit und Heimatliebe.

Die wichtigsten Werke Janáčeks sind seine Opern. Von den insgesamt 8 Stücken dieser Art sind "Jenufa", "Katja Kabanowa" und "Das schlaue Füchslein" die bekanntesten. Von letzterem kann man sich aktuell einen Eindruck in Darmstadt verschaffen, in Kürze (26.11.15) wird die Premiere im Staatstheater stattfinden. Das "schlaue Füchslein" ist wahrlich kein Märchen, wie man dem Titel nach glauben könnte, sondern eher eine Fabel. In ihr mühen sich Menschen und vermenschlichte Tiere mit den Themen Hunger, Liebe, Angst, Existenznot und Sehnsucht ab. Norbert Irrgang machte deutlich, dass jeder, der sich der Musik Janáčeks widmet, ganz ungewohnten neuen Klängen gegenüber öffnen muss. Seine Musik ist keineswegs so melodisch-harmonisch wie die Musik des italienischen Opern-Zeitgenossen Puccini. Die Teilnehmer des Vortrags konnten sich davon in einem abschließenden Ausschnitt aus "Jenufa" überzeugen.

Wenn Janáček in seinem Werk viel Mitgefühl und Mitleid mit der Natur und seinen Geschöpfen zeigte, so war er im realen Leben das große Gegenteil. Wenn man zudem weiss, dass er die Institution Kirche ablehnte und einer eigenen, pantheistischen Religionsauffassung anhing, der kann auch den Ausspruch eines Kritikers über ihn verstehen: "Er hat es mit sich, seinem Leben und Gott nicht einfach gehabt."

kpr