... im Anschluss an die Aufführung „Der Kaufmann von Venedig“
Aka: Sehr geehrter Meister, Sie können sich sicher denken, dass heute Abend viele Zuschauer gewünscht hätten, neben Ihnen zu sitzen, in der Pause mit Ihnen einen Wein zu trinken und nach der Vorstellung im „Braustübchen“ zu erfahren, ob Sie mit der ungewöhnlichen Inszenierung von Herrn Zipf einverstanden sind.
W.Sh: Also erstmal, ein Humpen Bier wäre mir lieber gewesen. Doch, doch, die Bühne und die burleske Aufführung hat mich wirklich an mein Globe Theatre in London erinnert; das ist schon raffiniert mit den beweglichen Wandstücken, die Umbauten überflüssig machen und dadurch das Tempo des Stückes nicht bremsen.
Aka: Was halten sie von den modernen Elementen der Ausstattung?
W.Sh: Originell, diese .. Dings.. na, Projektionen der hübschen jungen Damen mit den Gold-, Silber- und Bleikästchen. Das haben die Bühnen- und Kostümbildner gut hingekriegt. Die Figuren sind nicht so standardisiert: ein junges Mädchen hat zart auszusehen, ein Gauner trägt mindestens einen Bart. Hier kann der Zuschauer am Kostüm das Wesen der Protagonisten erkennen; ich meine sogar, deren persönliche Probleme sind ablesbar. Denken Sie an die freche Portia, die dem Vermächtnis ihres Vaters ausgeliefert ist, dass der Bewerber sie zur Frau bekommt, der das richtige Kästchen wählt. Ihr hilft, dass sie „hinten nicht wie vorne“ ist. Sehen Sie den jämmerlichen Kaufmann Antonio, der offenbar tüchtig im Geschäft ist, daneben scheinbar überaus gutherzig und soooo verliebt in Bassanio. Von zarter (Frauen-)Gestalt, mit hellblauem Faltenkragen, großen traurigen Augen bewegt er sich langsam durch die Räume. Ist das Oberteil seines Gewandes nicht ein Panzer zu seinem Schutz?
Aka: Was macht den reichen jungen Mann so niedergeschlagen?
W.Sh: Er darf nicht sein, wie er möchte. Er ist trotz seines anerkannten gesellschaftlichen Status ein einsamer Außenseiter.
Aka: Der Außenseiter ist doch der gängigen Kenntnis des Stückes nach Shylock!?
W.Sh: Genau das will dieser Jude nicht sein. Er will dazu gehören, geachtet, ja geliebt werden. Er möchte einiges dafür tun, aber es gelingt ihm nicht, nicht einmal bei seiner rotznäsigen Tochter Jessica. Sie beklaut den Vater und verlässt ihn für ihren Liebhaber.
Aka: Aber seine Forderung, ein Pfund Fleisch aus der Brust Antonios zu schneiden, ist doch unerhört und wirklich keine Maßnahme, um Anerkennung und Zuneigung zu erwerben.
W.Sh: Nun, hatten Sie nicht den Eindruck, dass Shylock sich zu einer drakonischen Maßnahme gedrängt fühlte als die Bittsteller aus Übermut und Selbstüberschätzung nicht darauf eingingen, ausschließlich die geliehene Summe von 3 000 Dukaten zurück zahlen zu müssen? Das Maß der Erniedrigungen war voll. Er ist durch nichts von seinem Wunsch nach Rache abzubringen – und macht die Demütigungen noch schlimmer, da er, um seine Haut zu retten, zum Christentum übertreten muss.
Aka: Kann einem dieser Jude nicht sogar ein bisschen Leid tun?
Sagen Sie, warum reißt sich Shylock so oft den Hut mit den Schläfenlocken vom Kopf?
W.Sh: Das ist ein Zeichen seiner inneren Zerrissenheit, verstehen Sie?
Herr Shakespeare zupft sein Wams zurecht und verschwindet in der Abenddämmerung. Er taucht auch nicht im „Braustübchen“ auf. Schade!
Schade auch, dass dort von den 20 Aka-Mitgliedern nur 4 über die musikalische Begleitung, die Schwierigkeit beim Verstehen der rasant schnellen Texte, des gelungenen Einsatzes von Jana Zöll und vieles andere mehr diskutierten.
Wir danken Herrn Zipf für die überaus interessante, informative und hilfreiche Einführung am 27.1.15
mika