Aka-Moderator Peter Wagener stellte, nach einer informativen allgemeinen Begrüßung, den Referenten Prof. Dr. Bert Rürup sehr warmherzig und gründlich vor, wobei er dazu sagte, der Gast sei als Berater mehrerer (!) Regierungen, Sprecher der so genannten Rürup-Kommission und als Vorsitzender des Sachverständigenrats der „Wirtschaftsweisen“ nicht nur als Professor an der TU Darmstadt bekannt, wo er 33 Jahre gelehrt hat.

Mithilfe eines Rorschach-Tests, bei dem die Betrachter von Tintenklecksen ihre individuellen Wahrnehmungen schildern, veranschaulichte Rürup die Situation in der Ökonomischen Wissenschaft. Jeder Wissenschaftler sieht ökonomische Probleme durch seine Theoriebrille und beurteilt die Lage nach den für ihn wichtigen Faktoren, was das an sich komplexe Fachgebiet der Wirtschaftswissenschaft nicht übersichtlicher mache. Er erläuterte an wenigen historischen Marken, wie drei ökonomische Theoriegebäude entstanden sind und dass die langen sozialen und wirtschaftspolitischen Zyklen des gesellschaftlichen Wandels das System in Bewegung halten. 

Die Entwicklung im Zeitraffer:

Ziel jeder Volkwirtschaft seit der Adelsherrschaft ist „reich zu werden“. Etwa 1850 entsteht eine Frühform der freien Marktwirtschaft (Adam Smith). Der große Crash 1929 wird überwunden durch Einführung des „New Deals“ (politische Impulse durch den Staat z. B. Autobahnbau). John Maynard Keynes (1883 – 1946) erweist sich als markanter Gestalter der Weltwirtschaft und der Währungsordnung. Ab 1972 spricht man vom Neoliberalismus (Verschärfung der Markteffizienz und starker Export). Ein so genanntes „Goldenes Zeitalter“ sieht Rürup von 1990 bis 2009. 2008/09 zerbricht der Neoliberalismus durch unsolide Geldwirtschaft. Deutschland erholt sich im internationalen Vergleich am besten. Ein neuer Theorierahmen wird heute gesucht. Kann der derzeitige Strukturwandel wieder als Wachstum anregendes (Heil-)Mittel funktionieren? Das Wachstum wird ab 2015 abflachen. Die vernachlässigte andere Seite eines Tagesthemas: Künftiges Steueraufkommen und Konsum der Flüchtlinge können bei der Überwindung der demografischen Lücke hilfreich sein. Aufgrund von Fehlern früherer Regierungen wird künftig die Altersarmut ein großer Sorgenbereich sein, so Bert Rürup.

Ohne dass sich eine Stimme aus dem Auditorium meldete, bewegte sich Peter Wagener souverän durch den Fragenslalom, der alle interessierenden Themen: Wie wird sich die zunehmende Digitalisierung auf die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung auswirken? Ist die Abschaffung des Bargeldes denkbar? Welche Gefahren und Chancen hat das Freihandels-Abkommen mit den USA (TTIP)? Welches Gewicht darf man dem französischen Star-Ökonomen Thomas Piketty beimessen, der sich jüngst sehr eindrucksvoll über das weitere Aufklappen der Schere zwischen Arm und Reich in seinem Buch „Das Kapital des 21. Jahrhunderts“ geäußert hat? Sind die Risse in der Europäischen Union kittbar oder werden die wirtschaftlichen Unterschiede die politisch wertvolle Errungenschaft zerstören?

Es war ein mitreißender Dialog auf hohem Niveau mit einer wohl einmaligen Schlussszene: Peter Wagener tanzte einige Tangoschritte mit Frau Rürup, die er in der hiesigen Szene des Tango Argentino kennengelernt hat und die das Zustandekommen dieser Veranstaltung eingefädelt hatte.

Walter Schwebel