Eine Auseinandersetzung mit dunkler Vergangenheit

kloster breitenau i schefflerPünktlich um 8.00 Uhr verließ der vollbesetzte Bus den Start. Es ist eine Freude, zu sehen, wie es die Südhessen nach Nordhessen zieht, wenn der Kursleiter Kurt Höhl seine Heimat zeigen will. Wie immer hatte er diese Fahrt bestens vorbereitet. Sattes Grün und gelb leuchtende Rapsfelder auf beiden Seiten der Autobahn.

Aber dann: Regen, Regen, Regen. Alles Grau in Grau. Das passte besser zu unserem Ziel: die Gedenkstätte Kloster Breitenau, die ein grausames Kapitel deutscher Vergangenheit eindrucksvoll darstellt.

 

Breitenau ist ein idyllischer Ortsteil von Guxhagen und liegt etwa 15 km südlich von Kassel. Im Mittelpunkt des Ortes steht das ehemalige Benediktinerkloster Breitenau, das aus dem 12. Jahrhundert stammt.

Seit dem Sommer 1984 gibt es in der Klosteranlage die Gedenkstätte Breitenau.

Nach einer Einführung in die wechselvolle Geschichte durch den Leiter der Gedenkstätte Breitenau Dr. Gunnar Richter erfolgte ein äußerst informativer, aber auch ergreifenden Rundgang durch die Klosteranlage. Unterstützt wurde Dr. Richter von seiner hauptamtlichen Mitarbeiterin Annika Stahlenbrecher. Beide sind mit ganzen Herzen in der Forschungs- und Dokumentationsarbeit tätig, beeindruckten mit ihren Ausführungen und machten uns tief betroffen.

Noch heute sind wesentliche Teile des alten romanischen Klosters aus dem 12.Jahrhundert erhalten: die Kirche, eine alte Zehntscheune, ein Wehrturm und die Klostermauer. Das Kloster für Benediktinermönche wurde nach über 400 Jahren durch die Reformation aufgehoben.

Im 19. Jahrhundert begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte Breitenaus. 1874 wurde dort ein preußisches Arbeitshaus eingerichtet; eine "Besserungsanstalt" für Menschen, die als "arbeitsscheu" bezeichnet wurden, Bettler, Landstreicher und Prostituierte.

Ab Juni 1933 wurde von den Nazis hierein Konzentrationslager eingerichtet. Das KZ bestand bis März 1934. Das KZ Breitenau gehörte zu den sogenannten frühen Konzentrationslagern. Die Häftlinge wurden gedemütigt, schikaniert und misshandelt. Man wollte sie so zwingen, sich dem NS-Staat unterzuordnen. Dass die Klosteranlage zum KZ umstrukturiert wurde und die Kirche gleichzeitig für Gemeindegottesdienste genutzt wurde, erschien uns unfassbar. „Da haben die Menschen aus Guxhagen sonntags gesungen und gebetet, hinter der Orgelwand, da waren dann Menschen eingesperrt.“ Sehr deutlich wurde dabei, dass die Bevölkerung einiges gewusst haben musste.

Während des Krieges befand sich in Breitenau ein „Arbeitserziehungslager“ der Geheimen Staatspolizei Kassel. Es war ein Konzentrationslager, ein Straflager für ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und deutsche Gestapo-Gefangene („Schutzhaft“). Bei Verstößen gegen den Arbeitseinsatz oder NS-Normen erfolgte die willkürliche Inhaftierung, es fanden keine Gerichtsverfahren statt, die Haftdauer blieb ungewiss. Die Gefangenen waren im Hauptgebäude des ehemaligen Klosters Breitenau untergebracht. Alle Fenster waren vergittert. Im Erdgeschoss waren die Duschräume, im ersten Stock Tagesräume. Im 2. Stock waren die Unterkunftsräume der Wachmannschaften. Zwei große Schlafräume für die Häftlinge und die Waschräume befanden sich im 3. Stock.Die Haftbedingungen sollten die Häftlinge gefügigmachen, sie sollten Todesangst ausstehen, sollten gebrochen werden. Eindrucksvoll die dokumentierten Aussagen von Häftlingen: „Die ganzen Verhältnisse haben aus diesen Menschen innerhalb von vierzehn Tagen sprachlose Wesen gemacht...“ „Wir waren nur noch Tiere, die auf nichts mehr reagierten“ Das Lager war für bis 400 Menschen ausgelegt, belegt war es mit bis zu 1000 Häftlingen. Jeder 5. wurde von hier in ein großes Konzentrationslager (wie Ravensbrück oder Buchenwald z.B.) deportiert.

Ein letztes Kriegsverbrechen durch SS- und Gestapo-Männer fand in der Nacht vom 30. März 1945 am nahegelegenen Fuldaberg statt:die Ermordung von 28 Häftlingen.

Lange Zeit war dieses dunkle Kapitel der NS-Geschichte des Klosters Breitenau in Vergessenheit geraten. Durch das Forschungsprojekt „Kassel im Nationalsozialismus“ 1979 an der Gesamthochschule Kassel kam die Geschichte des Klosters Breitenau wieder in den Blickpunkt.

Es gab einen Hinweis von einem ehemaligen Häftling, dass sich in Breitenau noch Unterlagen über das KZ befinden müssen. Im Keller des Verwaltungsgebäudes fand man die Liste der politischen Gefangenen des KZ Breitenau in den Jahren 1933 und 1934, außerdem ungefähr 3000 Individualakten der Schutzhaftgefangenen Breitenaus aus den Jahren 1940 bis 1945 und zahlreiche Korrespondenzen aus der Nazizeit, in denen die Leidensgeschichte von Tausenden ehemaliger Gefangener bürokratisch niedergelegt war. Langwierige, schwierige Forschungen schlossen sich an.

Heute befindet sich in der Zehntscheune eine mehr als interessante Dauerausstellung (ein zweiter Besuch lohnt sich!), ein Medien-Vorführraum, ein Arbeitsraum mit Bibliothek und Archiv.

Nach 1949wurde einiges in der Klosteranlage umgebaut und seit 1952 auf dem Gelände ein geschlossenes Heim für sog. "schwer-erziehbare Mädchen" eingerichtet. 1973 wurde die Einrichtung aufgrund von Protesten gegen die Heimerziehung geschlossen.

Noch auf der Heimfahrt galten unsere Gedanken und Gesprächeder Terrorherrschaft der Nazis und den ehemaligen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern, die in Breitenau gequält wurden.

Sigrid Geisen / Foto: Ingrid Scheffler