Wie Dr. Immo Grimm, langjähriger Chefarzt der Darmstädter Hautklinik im privaten Gespräch zugab, war der Titel seines Vortrags etwas reißerisch gewählt. Eigentlich referierte es über die Kulturgeschichte des menschlichen Fettes. Jedenfalls war der Saal im Wohnpark Kranichstein voll besetzt, auch mit Besuchern von außerhalb. Grimm spannte den Erzählbogen vom 16. Jh. bis heute und unterstützte seine Ausführungen mit vielen Bildern. Für den Vortrag benutzte er 54 Literaturquellen!


Die Volksmedizin in früherer Zeit beruhte weniger auf Forschungsergebnissen als auf Vorstellungen von Gottes Heilkraft. Es wurden sonderbare und widerliche Regeln aufgestellt.

So empfahl der Frankfurter Arzt und Gelehrte Dr. Paullini z. B. Kot und Urin von Menschen und Tieren gegen schwerste Krankheiten. Auch Taubendreck, Ohrenschmalz, Nachgeburten und geröstete Maulwürfe wurden in seinem Buch „Heilsame Dreckapotheke“ empfohlen. Das Buch erschien bis 1847 in 7 Auflagen. Ein anderer Wissenschaftler, Johann Becher, schrieb mehrere lange Gedicht über angebliche Heilmittel für den menschlichen Körper; ein Auszug:

„Zerlassen Menschenfett ist gut für lahme Glieder.
 So man sie schmiert, sie werden richtig wieder.“

Damals durfte in keiner Apotheke Blut, Fett, Haut und geraspelte Schädelknochen von Menschen fehlen. Das offizielle Arzneimittelverzeichnis von 1616 enthielt Menschen-, Katzen- und Hundefett, auch Regenwurmöl, was erneut die Magie und den Aberglauben der Behandlungsmethoden deutlich macht. Beim Menschenfett sollte das Material möglichst von jungen Körpern stammen, deren Lebenskraft noch unverbrauchter war.Um diese Regel gut einzuhalten, spielten die Scharfrichter dieser Zeit eine wichtige Rolle, die als Lieferanten des Materials sogar ein Monopol besaßen.

Menschenfett galt als Universalmedizin. Es wurde zu Salbe, Tropfenarznei oder Tinktur verarbeitet. Innerliche Anwendung wirkte angeblich bei Lungenschwindsucht, Muskelschwund oder Zahnschmerzen; bei Geisteskrankheiten wurde die „Nervensalbe“ auf den Kopf aufgetragen. Besonders originell: Zur Empfängnisverhütung dienten in Menschenfett gebratene Kaulquappen. Die Heilmittel aus Menschenfett waren keineswegs auf Deutschland begrenzt. Sie wurden von den Ärzten verordnet und waren in jeder Apotheke vorrätig.

Vor etwa 100 Jahren begann man öffentlich über Eingriffe zur Verbesserung der Körperform und der Schönheit zu reden. Die Werbung pries eine Menge von Wundermitteln an, bei denen Körperfett immer noch ein Hauptbestandteil war. In den Hungerjahren nach dem 1. Weltkrieg, machten hochkalorige Bonbons Karriere, weil dadurch das etwas rundlichere Aussehen gefördert wurde. Nur in Zeitsprüngen gelang es Dr. Grimm in die Jetzt-Zeit zu kommen, in der durch Übergewicht bzw. Adipositas das Fett der Menschen eine andere Bedeutung bekommen hat, die zunehmend nach medizinischer Behandlung ruft, weil das „Rubenszeitalter“ nun mal vorüber ist. Gern werden heute die Fettabsauge-Geschichten von Prominenten zu Berichten in der Boulevardpresse benutzt, was ebenso unappetitlich ist wie die Menschenfett-Behandlungen im 16. Jahrhundert.

Walter Schwebel