Nikolaus Heiss stellt den „Weltentwurf der Moderne“ vor
Der Taj Mahal gehört dazu, die Chinesische Mauer, die Pyramiden von Gizeh: Sie alle sind „Weltkulturerbestätten.“ Demnächst nun auch die Mathildenhöhe in Darmstadt? Moderatorin Petra Neumann-Prystaj fragte das äußerst skeptisch. Nikolaus Heiss, ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt Darmstadt verdeutlichte in seinem Vortrag, der mit Daten, Fakten, historischen Verweisen und vielen attraktiven Bildern versehen war, wie weit die Bewerbung vorangeschritten ist und welche Chance die Wissenschaftsstadt hat, 2020 als Siegerin gekürt zu werden. Die Zuhörerschaft im bis auf den letzten Platz gefüllten Literaturhaus dankte ihm mit großem Applaus.
Heiss ist seit 2008 Koordinator der Gruppe, die sich mit dem Topthema „Aufnahme der Mathildenhöhe als Weltkulturerbestätte“ beschäftigt und mittlerweile 20 Experten umfasst. 1031 solcher Denkmäler gibt es inzwischen in 160 Ländern. 802 von ihnen sind Kultur-, 197 Naturdenkmäler. Deutschland ist überaus häufig ausgezeichnet worden. Insgesamt gibt es in der Bundesrepublik 41 Welterbestätten, beginnend mit dem Aachener Dom 1978 und – vorläufig – endend in diesem Jahr mit zwei Häusern der Weißenhofsiedlung von Le Corbusier in Stuttgart. In Hessen übrigens wäre der Musentempel die sechste UNESCO-Auszeichnung nach dem Kloster Lorsch, der Grube Messel, dem Oberen Mittelrheintal, dem Limes und der Kasseler Wilhelmshöhe.
Nun also Darmstadt 2020? Ehe es eventuell passiert, müssen weitere Bedingungen erfüllt und deutsche Mitbewerber geschlagen werden, denn es darf pro Land im Jahr nur eine Bewerbung abgegeben werden. Immerhin: 31 ehemalige Mitbewerber sind schon ausgeschieden, 7 befinden sich jedoch im Endspurt. Welche Kriterien sind nun zu erfüllen? Der künftige Sieger zeichnet sich, sagt Heiss, aus durch
- seinen außergewöhnlichen, universellen Wert und
- seine Echtheit und Unversehrtheit.
Großherzog Ernst-Ludwig war es, der den Anstoß gab; Weg vom Historismus in der Kunst, hin zur Erneuerung. Beeinflusst war er von der „Arts-and-Craft“ Bewegung in England, die das verstaubte 19. Jahrhundert hinter sich lassen und in neue Zeiten aufbrechen wollte. Als der Großherzog den Architekten Joseph Maria Olbrich kennenlernte, konnte es losgehen. Der berühmte Wiener wurde zum Chefarchitekten der künftigen Künstlerkolonie ernannt. Um ihn herum scharten sich bald andere bekannte Meister, Peter Behrens zum Beispiel oder Hans Christiansen. „Mein Hessenland blühe und mit ihm die Kunst“ war das Motto des Landesvaters, der sich neben dem künstlerischen auch einen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffte. Vier Ausstellungen zwischen 1901 und 1914 machten einem breiten Publikum klar, was Olbrich sich als Ziel gesetzt hatte: „Eine ganze Stadt bauen“, und dies nicht nur unter architektonischen Aspekten, sondern im Hinblick auf die Realisation eines neuen Gedankengutes und Weltbildes. Die Künstlerkolonie sollte Ideengeberin und geistiges Zentrum werden. Ein Weltentwurf der Moderne.
Und darin sieht Nikolaus Heiss die eigentliche Bedeutung. Gefordert wird nämlich für die Bewerbung der Nachweis, dass es sich auch unter historischen Gesichtspunkten um etwas „Einmaliges“ handelt (also nicht das 20. Fachwerkhaus), eine Lücke schließt, die bisher noch nicht gefüllt wurde. Hinzu kommt, dass einige Gebäude im Krieg unversehrt blieben, noch so existieren wie 1914. Es sei eine klare, kühle Architektur, die, wie 2014 der Fachbeirat der Kultusministerkonferenz schrieb, als innovativer, echter Wegbereiter der Moderne anzusehen sei.
Was bleibt zu tun bis zum endgültigen Urteil? Leider eine ganze Menge. Und dafür gibt es keine Fördergelder. Die fließen erst nach dem Erhalt des Titels. Vorher aber muss investiert werden - in die Gartenarchitektur zum Beispiel. Und in all das Drumherum, was Tausende von Touristen so brauchen. Wie zum Beispiel sollen die dann den Ort ihrer Sehnsucht erreichen, mit Auto, Bus oder Bahn? Da muss noch viel nachgedacht werden. Vor allem aber: gehandelt....
Heidrun Bleeck