Fast jeder hat schon mal in Ostfriesland - auf dem Festland oder seinen vorgelagerten Inseln - Urlaub gemacht, zumindest wenn er die rauhe Seeluft liebt. Mit dem Vorträgen von Rainer Hintner über Land und Leute könnte er/sie für zukünftige Aufenthalte bestens vorbereitet werden.
Nach Geschichte und Bewohner im ersten Vortrag der Vorwoche beschäftigte Hintner sich diesmal mit dem Essen, dem Volkssport, den Inseln und den wichtigsten Orten dieser norddeutschen Küstenlandschaft.
Der Ostfriese liebt das Deftige und Außergewöhnliche: Labskaus, Matjes und Grünkohl mit Pinkel (Grützwurst) sind die bekanntesten Gerichte, aber den Schweinebraten („Snirtje“) kennt er auch. Legendär ist die Teebedeisterung der Bewohner: sioe trinken das 10-fache des normalen Bundesbürgers; ein „Wölkchen“ (Sahne) muss dabei sein. Und der Fisch sollte schwimmen können, am besten im vorherrschenden Jever-Bier.
Drei Sportarten werden fast ausschließlich in diesem Landstrich gespielt: Klootschießen, Boßeln und Paddstockspringen. Letzteres ist aus der alten Notwendigkeit, breite Gräben zu überspringen, entstanden. Die anderen zwei sind Wurfspiele mit großen (beim Boßeln) oder kleinen Wurfkugeln. Man zieht dabei Kilometer-lang über Straßen oder Felder und viel zieht mit.
Die sich ständig verändernden großen Sandbänke vor der Küste wurden im Laufe der Jahrhunderte zu bewohnten Inseln. Ein Merkspruch hilft, ihre Reihenfolge von Ost nach West zu behalten: „Welcher Seemann Liegt Bei Nanny Jm Bett?“: Ausgeschrieben sind das Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum.
Vor 1800 lebten die Insulaner von Kleinlandwirtschaft und natürlich von der Fischerei. Danach kamen zunehmend die Touristen in die zu Seebädern aufgestiegenen Orte und sie sind heute die Haupteinnahme-Lieferanten.
Es gibt auf manchen Inseln sogar kurze Eisenbahnstrecken oder (wie auf Spiekeroog) die letzte Pferdebahn Deutschlands, dafür kein öffentlicher Autoverkehr. Was aber die unterschiedlich großen Inseln alle eint, sind gesunde Luft, hohe Dünen und lange Strände aus feinem weißen Sand…
Der Hauptteil von Hintners Vortrag waren diesmal die Städte Ostfrieslands. Alle - mit Außnahme der größten Stadt Wilhelmshaven - haben eine lange Geschichte, die von wechselnden Herrschaften, „Herrlichkeiten“ (regierende Familien-Clans) bzw. politischen Zugehörigkeiten geprägt war. Der Kampf der Ostfriesen galt dabei immer zwei Hauptthemen: dem Meer zu trotzen bzw. ihre Unabhängigkeit zu wahren. Die wichtigsten Städte der Gegend sind das durch seine Altstadt glänzende Jever, Aurich - die heimliche Hauptstadt Ostfrieslands - und der alte Handelsort Emden, bekannt durch sein nahes Emssperrwerk.
„In Aurich ist es traurich, in Leer noch viel mehr.
Und wen der liebe Gott will strafen, den schickt er gern nach Wilhelmshaven.“
Dieser Ausspruch wurde sicher von einer spöttichen „Landratte“ gedichtet, die mit ostfriesischer Lebensart nicht klar kam. Wilhelmshaven hat aktuell tatsächlich mit stark sinkenden Einwohnerzahlen zu kämpfen. Die erst 150 Jahre alte Stadt wurde als Stützpunkt für die preussische Kriegsmarine auf dem Reißbrett entworfen und mit viel Personalaufwand praktisch aus dem Schlick gestampft. Die zwei verlorenen Weltkriege brachten den Großwerften und allen militärischen Anlagen den Garaus; die Stadt verlor damit ihre hauptsächliche industrielle Anziehung. Das hat sich, trotz des neuen gezeitenunabhängigen Tiefwasserhafens für Container- und Ölschiffe, kaum geändert. Weitere Industriezweige haben sich nicht angesiedelt.
Der exakt zweistündige Vortrag Hintners war technisch exzellent, mit aktuellen und historischen Bildern, Filmausschnitten und den wichtigsten Fakten in Schlagworten per Powerpoint präsentiert. Dazu gab es umfassende, manchmal etwas zu schnell vorgetragene mündliche Einzelheiten.
Klaus-Peter Reis / Foto: © Ostfriesland Magazin (mit freundlicher Genehmigung)