Mit seinen 94 Jahren ist Otto Straznicky – ein Charmeur mit weißem Schnurrbart und Gehstock – der älteste Schauspieler auf der Bühne. Seit 16 Jahren wirkt er in einem ungewöhnlichen Theaterensemble mit, das 1979 gegründet wurde und sich in seiner Zusammensetzung immer wieder verändert. Ältere Menschen mit Lust an der Schauspielerei erarbeiten unter Anleitung von Profis Bühnenstücke und führen sie im Freien Werkstatt Theater von Köln auf.

Zum sechsten Mal besuchte die Akademie 55plus dieses besondere Theater. Diesmal stand „Ein Lieben lang“ auf dem Programm.

Das Stück wurde in zweijähriger Arbeit entwickelt und wird seit anderthalb Jahren gespielt. Singend, tanzend und mit kleinen Sketchen lassen fünfundzwanzig Schauspielerinnen und Schauspieler Stationen ihres Lebens Revue passieren. Manches erinnert das Publikum an eigene Erfahrungen. 

Die Zeitreise führt von der Kriegszeit bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Eine Mutter verabschiedet ihren vierzehnjährigen Buben in den Krieg und zwar - zu seiner Verwunderung - mit einem Kuss. Das macht ihm Angst, weil Zärtlichkeiten in seiner Familie nicht üblich waren.

Immer wieder geht es um die Liebe, das Kennenlernen beim „Kokainball“ (wobei das K für Karneval steht), das Zusammenbleiben oder auch um schmerzliche Trennungen. Wie war das damals, als es noch den Kuppeleiparagrafen gab und Frauen die Erlaubnis ihrer Männer brauchten, um einen Beruf ausüben zu können? Als Frauen über 40 angeblich zu alt für den Beruf waren? Nach ersten Ablehnungen erfährt eine Wiedereinsteigerin, wie erfüllend die Arbeit in einem Team sein kann, das sich versteht und sogar die Freizeit miteinander verbringt.

„Nichts ist erfunden“, versichert Regisseurin Ingrid Berzau. Das Programm setzt sich aus vielen Puzzlestückchen von Selbsterlebten zusammen. Die Aka-Gruppe war von der Spielfreude der 64- bis 94jährigen beeindruckt. Otto Straznicky, der Älteste, erzählte, dass er diesem Theater viel verdankt, vor allem “Persönlichkeitsbildung“. Und dass er sich freut, wenn die Zuschauer – wie die Aka-Mitglieder aus Darmstadt – wiederkommen, weil es ihnen so gut gefallen hat.

Text: Petra Neumann-Prystaj / Foto: Doris Strucken