Der Wettlauf um den „Erstbesuch“ des Südpols zwischen Amundsen und Scott mit dem tragischen Ausgang für letzteren ist weltberühmt geworden. Dass mit Ernest Shackleton (Sh.) ein weiterer Engländer schon 3 Jahre davor nur knapp daran scheiterte, ist weniger bekannt und lange Zeit vergessen worden. Es lohnt sich, seine Expeditionen und die Persönlichkeit Sh. genauer zu betrachten, meinte der Referent Herr Hintner.

Man muss sich nur kurz mit der Antarktis und der Zeit um 1900 beschäftigen, um zu erkennen, welch kühnes und lebensgefährliches Unterfangen eine Expedition Richtung Südpol war. Dem Pol konnte man sich maximal 1200 km per Schiff nähern, der Rest war über Schnee- und Eisflächen, aber auch teilweise durch hohe Felsengebirge zurückzulegen. Es fehlten Versorgungsstationen, geeignete Verkehrsmittel, Funkverbindungen etc., stattdessen herrschte (und herrscht) Dauerfrost und Schnee ohne Ende. Schon die Überfahrt war eine Zumutung: den geringen Stauraum teilten sich Schiffs- und Expeditionsmannschaft, Vieh, Verpflegung und Ausrüstung. Kleidung und Gerätschaft war natürlich nicht high-tech; das Risiko, nicht mehr heim zu kommen, war sehr groß.

Und trotzdem nahmen Männer wie Amundsen, Scott und auch Sh. dieses Abenteuer mit unklarem Ausgang auf sich. Sh. war zuerst bei einer abgebrochenen Expedition unter Leitung von Scott dabei, bevor er 1907 eine eigene startete. Das Geld dafür musste er sich teils leihen, teils wurde er gesponsert; immerhin waren 50.000 Pfund (heute 2 Millionen €) aufzubringen. Da die mitgenommenen Zugtiere für die Schlitten (Pferde und Hunde) unterwegs krankheitsbedingt starben, mussten die Transportschlitten schließlich von den Männern selbst gezogen werden. Das Tagestempo verringerte sich; um nicht zu verhungern, war eine vorzeitige Umkehr notwendig. Immerhin näherte sich Sh. mit seiner Gruppe dem Südpol bis auf 180 km.

Nachdem der Ruhm der ersten Südpol-Ankunft an Amundsen vergeben war, wollte Sh. die Antarktis komplett durchqueren - über den Südpol hinweg. Diese 2. Expedition „Endurance“ in den Jahren 1914-17 sollte katastrophal beginnen - und zugleich glücklich enden: Das Transportschiff fror praktisch in Sichtweite des antarktischen Festlands ein und sank später; das sie umgebende Eis wurde zur riesigen Scholle, auf der die Mannschaft mit dem geretteten Material monatelang Richtung Norden triftete. Sie konnten schließlich auf dem unbewohnten Elephant-Island landen. Das war aber noch lange nicht die Rettung: mit einem der „geretteten“ Rettungsboote ruderte Sh. mit 5 Männern rund 1000 km (!) über die offene, eiskalte See, um schließlich Südgeorgien zu erreichen. Von dort konnte Sh. - nach mancherlei Verhandlung - die Bergung der Restmannschaft in die Wege leiten. Letztere warteten 4 Monate auf dem Island. Die Leistungen aller Teilnehmer, sowohl physischer, psychischer als auch nautischer Natur, sind unvorstellbar.

Auf einer dritten, von ihm vorbereiteten Expedition starb Shackleton 1922 schließlich, noch bevor er die Antarktis betreten konnte. - Sein Ruhm damals wie heute begründet sich also nicht auf besondere Entdeckungen oder Ersteroberungen, sondern vielmehr auf seine Führer-Qualitäten. Er war sich einerseits nicht zu schade, auch unangenehme Arbeiten wie alle anderen Crew-Mitglieder zu übernehmen. Andererseits (oder gerade deshalb?) schaffte er es, bei allen Gefährten in außerordentlichem Maße die nötigen Kraftreserven, Mut und Überlebenswillen zu entlocken. Nur so konnte es geschehen, dass die Mannschaft der Endurance-Expedition, die fast 2 Jahre als verschollen galt, komplett überlebte.

Von dieser Expedition gibt es erstaunlicher Weise Fotos und sogar Filme, da Sh. einen echten Fotografen mitnahm und nicht nur dieser, sondern auch sein Bildmaterial überlebte.

Klaus-Peter Reis