Impressionen von einem harten Tag

parthenon 170Nein, wir wollten uns nicht vorher sagen lassen, wie wir uns mit den Exponaten der documenta auseinandersetzen sollen. Wir wollten sie sehen, wollten rein ins Fridericianum und schauen, was es da zu sehen gibt.

„Ihr seid eine schwierige Gruppe“, gab unser documenta-Begleiter schließlich auf, und marschierte etwas verschnupft vor uns her in das Ausstellungsgebäude.

mosaik2 200Zunächst zögernd betraten wir den bunten Teppich, der – merkwürdig unruhig -  hinter der Tür auslag. Die bunte, fließende Projektion eines Mosaiks vom Kloster auf dem Berg Athos, wie wir erfuhren, lud zum Spiel mit Farben und Mustern auf Kleidung, auf Händen, auf Gesichtern ein.

Da wären wir nicht drauf gekommen: Aspekte von Gender und Diskriminierung verbergen sich hinter der farbigen Pracht. Denn Frauen dürfen nicht auf den heiligen Berg und Zugang zur Documenta gibt es nur für die, die das auch bezahlen können.  
Assoziationen gab es en masse zu den fließenden Bewegungen zu unseren Füßen. Das freute unseren Begleiter und er wollte mehr. Dem setzte eine Teilnehmerin schließlich in perfektem Altgriechisch ein Ende:„Panta rhei“ (alles fließt).

  
gastarbeiter 2 200Eine Auswandererszene beeindruckt: Männer ohne Kopf mit altmodischen Koffern gruppiert um ein riesiges „Hinkelpäckchen“. Flüchtlinge? - Nein. Koffer und Kleidung sprechen dagegen. Griechische Gastarbeiter, die nach Deutschland kamen und mühsam durch die fremden Anforderungen und Institutionen „hinkeln“ mussten. Auf die deutsche Fahne zu, die mit Fetzen der griechischen bedeckt ist.  Figuren ohne Kopf – als Individuen uninteressant?

natodraht 200Hohe Stahlregale, auf denen sich NATO-Draht in unterschiedlichen Versionen stapelt, umschließen fast lückenlos einen Innenraum. Ein Gefängnis für diejenigen, die dort als Sträflinge eingesperrt sein könnten. Ein Wall, mit dessen Hilfe Eindringlinge ferngehalten werden vom „Land in den Milch und Honig fließt“, aber auch ein Gefängnis für diejenigen, die ihren Reichtum auf solche Art und Weise sichern wollen.

Der Wunsch nach mehr Information wird vorgebracht. Wenig erfährt man auf den winzigen, schwer lesbaren Zetteln, die irgendwo an den Wänden kleben. Offenbar spielen die Personen der Künstler und die Einordnung ihres Schaffens eine untergeordnete Rolle im Konzept der documenta. Unser inzwischen versöhnlich gestimmter Begleiter tat so manche Frage als uninteressant ab – und ließ sie unbeantwortet.

shelter 200Shelter war der Titel eines Liegeplatzes, der aussah wie aus Pappe, Holzresten und Styropor zusammengebaut. Sauber natürlich und, wie unser Begleiter uns überraschte, aus Marmor. Was ihn nicht behaglicher macht. Was fällt euch dazu ein? Es juckte in den Fingern, zu überprüfen, ob das wirklich Marmor war – aber die Disziplin siegte: Anfassen verboten!

Von den Video-Installationen sei eine erwähnt, die zutiefst beeindruckte: In einer Sportarena wurden türkische Rekruten eingeschworen auf ihre zukünftigen Aufgaben als heldenhafte Kämpfer. Das Stakkato der Beschwörungsformeln, die mitreißende Musik, die Choreografie des Ablaufs und die Ästhetik der sportlichen Einlagen weckten Erinnerungen an Propagandafilme von Leni Riefenstahl.  

Unbegleitet hatten wir eine knappe Stunde Zeit in der Neuen Neue Galerie (Neue Hauptpost). Die alte Schalterhalle beeindruckte durch ihre gigantische Größe. Überdimensionale, ständig wechselnde Bildeffekte auf riesigen Projektionswänden ziehen die Blicke auf sich, erschließen sich aber nicht intuitiv. Es fehlt an Informationen.

rentierschaedel 150Aufmerksamkeit erregt ein riesiger Vorhang aus Rentierschädeln. Sicher  ein Protest gegen die Ausbeutung der Natur  - oder? Dass es um den Kampf der Samen um den Erhalt ihrer Rentierherden und damit ihrer Identität geht, das hat der gebildete Documenta-Besucher vorher gelesen oder erarbeitet es sich anschließend.

Viele, viele Exponate. Viel zu wenig hilfreiche Informationen.

Bewusst machten wir uns auf die Suche nach einem Video, von dem wir gehört hatten. Londener Forensiker haben den Mord an Halit Yozgat in seinem Kasseler Internet-Büro in einem aufwendigen Verfahren rekonstruiert. Das Ergebnis weckt begründete Zweifel, dass der anwesende Verfassungsschützer von der Tat nichts mitbekommen hat, wie er im Verfahren um die NSU-Morde aussagte…

Schließlich saßen wir wieder im Zug – die Köpfe voller Eindrücke. Die strapaziöse Anreise hatte sich gelohnt, so der Tenor. Danke an unsere Aka-Begleiter Sigrid Geisen und Helmut Linke für die perfekte Organisation!  

Auf die Organisation bei der Deutschen Bahn hatten sie leider keinen Einfluss. Nach Lokschaden und Zugwechsel kamen wir schließlich mit erheblicher Verspätung in Darmstadt an.

Margret Wendling (Fotos zum Vergrößern anklicken.)