3 Days of Peace and Music
Im Aka-Workshop lässt Joe Cocker seinen Urschrei los – und fasziniert wie bei seinem Auftritt vor 48 Jahren
Es gibt zwei Woodstocks – den Mythos von drei Tagen Musik und Frieden im August des Jahres 1969 und die harten Fakten. Statt der erwarteten 50.000 Besucher kamen knapp 500.000, auf die die unerfahrenen Organisatoren nicht vorbereitet waren.
An manchen Stellen soll es wegen der wenigen Toiletten schlimmer als in einem Schlachthof gestunken haben. Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer, heißt es, standen unter Drogen. Zwei Kinder wurden geboren, drei Menschen starben während des Festivals, einer an einer Überdosis Heroin, ein anderer an einer Blindarmvereiterung, der dritte schlafend, als er von einem Traktor überrollt wurde.
Aka-Kursleiter Rolf Wollner hatte sich akribisch mit beiden Seiten von Woodstock befasst, dem Mythos und dem „Medienschwindel“. Denn das positive Image von Woodstock wurde hauptsächlich durch den gleichnamigen Dokumentarfilm (der die hässlichen Seiten weitgehend ausblendet) und die Songs der damaligen Zeit geprägt. Sie sind wohl jedem geläufig, der Ende der sechziger Jahre gegen strenge Eltern aufbegehrte und sich nach freier Sexualität sehnte – damals gab es noch den Kuppeleiparagrafen.
Woodstock gilt als Höhepunkt der Hippiekultur. Dabei war das Festival eine kommerzielle, sogar in Kanada und Europa beworbene Veranstaltung. Vom Gewinn wollten die jungen Organisatoren ein Ton-Aufnahmestudio finanzieren. Weil es gegen das geplante dreitägige Open-Air-Konzert viele Widerstände kam, mussten sie innerhalb kurzer Zeit einen neuen Veranstaltungsort finden. Die legendär gewordenen 32 Bands und Solisten traten also nicht in Woodstock selbst auf, sondern im 70 Kilometer entfernten Bethel.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Aka-Workshops genossen die ersten 90 des 219 Minuten dauernden „Director’s Cut“ des Dokumentarfilms, erschauderten bei Joe Cockers Urschrei nach einer kleinen Hilfe von meinen Freunden, bestaunten die Schnelligkeit, mit der sich Richie Havens auf seiner Gitarre begleitete, fanden Janis Joplins Gefühlsausbruch auf der Bühne berührend-befremdlich. Zitate aus Büchern über Woodstock animierten zum Gedankenaustausch und zu persönlichen Stellungnahmen. Ein Teilnehmer stellte im Hinblick auf Amerika die Frage: „Wo bleibt das Woodstock von heute? Die jungen Menschen gucken doch alle nur noch in ihre Handys.“
Aufgewühlt von der Musik und in Erinnerungen an ihre Jugendzeit schwelgend, baten mehrere Teilnehmer den Aka-Kursleiter spontan, den Workshop im nächsten Aka-Semester mit dem zweiten Teil des Films fortzusetzen. Rolf Wollner ist nicht abgeneigt.
Text: Petra Neumann-Prystaj