Nach dem einführenden Vortrag (am 25. Januar) wollten nun am 7. Februar zwölf Personen im Rahmen des Grundlagen-Workshops an dieser Frage weiterarbeiten. Die sehr kompetente (und betroffene) Referentin Annette Hempel, Supervisorin und Coach, ließ die Teilnehmer/innen bereits bei der Vorstellungsrunde anhand ihrer Initialen individuelle Eigenschaften benennen, die Hinweise auf die Antwort der zentralen Frage geben sollten.
Zur Begriffserklärung vorweg: Hochsensibilität (HSP = Highly Sensitive Person) ist weder eine Persönlichkeitsstörung noch eine Krankheit, sondern „eine Normvariante des Nervensystems mit größerer Empfänglichkeit gegenüber Reizen“ (Elaine Aron). In Ermangelung genauer wissenschaftlicher Kriterien können Betroffene nach Selbsteinschätzung festlegen, ob sie sich HSP zuschreiben oder eher nicht.
Der Schlüssel zur Feststellung der HSP liegt also in der Art, wie Reize wahrgenommen werden. Sehen, Hören, Riechen usw. bilden eine große Bandbreite der Erscheinungsbilder, die als Ursachen in Frage kommen. Finden sich bei einer Person Überreizungen in mehr als einem dieser Bereiche, kann Hochsensibilität vorliegen. Das Gefühl, einer Überreizung ausgeliefert zu sein (z.B. Lärm stört Nachtruhe), das dabei entstehende Unwohlbefinden und Stress sind die störenden Merkmale. Das Herausfinden der individuellen Profile durch eigene Wahrnehmungen und Beobachtungen bildete den ersten Schwerpunkt im Workshop. Die dabei geleisteten Ratschläge der Referentin und die Beratungsversuche untereinander waren vielfältig und ließen die dankbaren Rückmeldungen gleich folgen. Besonders die Tipps, zu einer neuen Sicht der bisherigen Wertung oder Selbst-Einschätzung zu finden oder mit dem Neinsagen zu üben, versprachen schon mehr Balance oder Stärkung. Dass mitunter durch Hochsensibilität ein Nachteil in der extremen Leistungsgesellschaft entsteht, ist plausibel, aber es wurde auch herausgearbeitet, dass hochsensible Menschen keine Versager sind und oft über eine außergewöhnliche Stärke beim Verfolgen ihrer Ziele besitzen.
Die Bedeutung der jeweiligen Erwartungshaltung, die in privaten und beruflichen Situationen Konflikte schafft, wurde beispielreich erörtert. Dabei ist festzuhalten: Das eigene Verhalten ist durch Wille und Lernbereitschaft eher steuerbar, als das Verhalten des Partners oder von Nachbarn. Danach wurden auch die vorteilhaften Aspekte (Ressourcen und besondere Fähigkeiten) der Hochsensiblen in der Runde gesammelt. Ein Großteil der Teilnehmer/innen neigte zum musisch-künstlerischen (also kreativen) Tun, wobei auch Ruhe, Alleinsein oder das Aufsuchen der Natur als hilfreiche Felder besprochen wurden. Diese Abhilfen im persönlichen Bereich zu organisieren, bleibt Aufgabe der Workshop-Besucher. Mit der Beschäftigung des Balance-Barometers klang der Workshop aus.
Die wissenschaftliche Erforschung des stets bekannter werdenden Phänomens steckt in Deutschland noch in den Anfängen. Laut Frau Hempel liegen erst wenige handfeste Studienergebnisse über die Ursachen von Hochsensibilität und dem Umgang damit vor.
Walter Schwebel