Zusammen mit Friedel Lausberg besuchte eine Gruppe der Aka55plus die Neue Synagoge Darmstadt in der Wilhelm-Glässing-Straße. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde war unsere Führerin. Frau Ira wurde Anfang der 90er Jahre aus Russland in den Westen ausgesiedelt. Sie spricht inzwischen sehr gut Deutsch und kann ihre Religion hier jetzt frei ausüben.
Die Neue Synagoge wurde am 9. November 1988, genau 50 Jahre nach der Zerstörung der alten drei Darmstädter Synagogen, eingeweiht.
Als sich nach dem Krieg langsam wieder eine jüdische Gemeinde in Darmstadt entwickelte, wurde der Neubau einer Synagoge an neutraler Stelle durch die Stadt sowie Spenden ihrer Bürger finanziert und stellt nun das Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde in Südhessen dar. Zur Gemeinde zählen heute etwa 700 Mitglieder.
Der Gebäudekomplex aus schönem Sandstein, der mit Quarzen durchsetzt und der Synagoge in Jerusalem nachempfunden ist, umfasst neben der Synagoge noch Büros, Unterrichts- und Versammlungsräume sowie die Wohnung des Rabbiners und ein kleines jüdisches Museum. Er wurde von dem Architekten Alfred Jakoby geplant und umgesetzt. Im Mittelpunkt steht der Kuppelbau des Gebetsraums, der beim Eintritt den Besucher durch die strahlende Helligkeit und die farbigen Glasfenster in den Bann schlägt. Die zwölf raumhohen Glasfenster wurden von dem britischen Glaskünstler Brian Clark entworfen. Sie symbolisieren mit leuchtendem Rot-Orange auf der Nordseite das Leiden des jüdischen Volkes (Feuer und Blut), die blau-weißen Fenster der Südseite bedeuten die Hoffnung des Neubeginns nach der Shoa (Treue und Reinheit). In der Mitte des Raums, an der nach Jerusalem weisenden Seite, steht der Thoraschrein, in welchem hinter einem kostbar bestickten Vorhang die Thorarollen aufbewahrt werden. Eine Thorarolle, die jüdische Bibel, ist der in Schreiberschulen handschriftlich in Hebräisch auf Pergament geschriebene Inhalt der fünf Bücher Moses. Eine abgenutzte Thorarolle wird nicht zerstört, sondern auf einem jüdischen Friedhof begraben. Der Thoraschrein wurde für uns geöffnet, wir durften die inzwischen vorhandenen acht schön verzierten Rollen betrachten, aber nicht berühren. Auf dem Vorlesetisch (Bima) wird die Thorarolle ausgerollt und der Inhalt wird in fest definierten Abschnitten in 52 wöchentlichen Gottesdiensten vorgelesen. Nach dem festlichen Abschluss einer Thorarolle wird sogleich mit einer neuen Rolle begonnen. Der so stets gleich ausgerichtete Gottesdienst beginnt jeden Samstag (Sabbat) um 9:30 Uhr und dauert ca. vier Stunden. Ein Gottesdienst findet jedoch nur statt, wenn mindestens zehn religionsmündige Männer anwesend sind. Männer sitzen in den Bankreihen im Erdgeschoss, Frauen auf der Empore. Bei telefonischer Anmeldung können auch nichtjüdische Interessenten an dem Gottesdienst teilnehmen. Im Unterschied zu christlichen Gotteshäusern findet man in der Synagoge keine Bilder, gesungen wird in den langen Gottesdiensten ohne instrumentale Begleitung.
Unsere Führerin erzählte von jüdischen Festen und Ritualen. Sie gab uns viele Erläuterungen zu den Symbolen des jüdischen Glaubens, die sich auch in der Gestaltung der Synagoge wiederfinden. Die Zahl 7 entspricht den Tagen der Schöpfungsgeschichte,10 weist auf die beiden Tafeln mit den 10 Geboten hin und 12 auf die Stämme des Volkes Israel. Es war mein erster Besuch in einer Synagoge, und ich war sehr beeindruckt.
Text und Fotos: Christiane Schuchard-Ficher