Gäste aus Chesterfield am Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt

Der Zugang zur Gedenkstätte über den Klinikeingang Bleichstraße ist nicht so leicht zu finden. Dennoch waren die Chesterfielder und einige Akaler pünktlich vor der Menora (siebenarmiger Leuchter), um sich mit der Darmstädter Kunsthistorikerin Elisabeth Krimmel zu treffen. Frau Krimmel brachte der aufmerksam zuhörenden Gruppe in englischer Sprache den Erinnerungsort und die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Darmstadt nahe.

In Darmstadt zerstörten die Nazis - wie überall in Deutschland - im November des Jahres 1938 im Zuge der Reichspogromnacht alle drei Synagogen. Die liberale Synagoge fiel einem Brandanschlag von SA-Männern zum Opfer, der Oberbürgermeister Wamboldt schaute zu. Schon ab 1933 wurden jüdische Bürgerinnen und Bürger in Darmstadt verhaftet, gedemütigt und entrechtet. Die traurige Schlüsselrolle Darmstadts und seines NS - Oberbürgermeisters zeigte sich auch in der Grausamkeit, mit der die großen Deportationen 1942 und 1943 durchgeführt wurden. Zu Beginn der Nazizeit lebten noch ca. 1650 Juden in Darmstadt. Ein Teil hatte bereits mit der Machtergreifung durch die Nazis die Stadt verlassen. Bis 1938 emigrierten viele jüdische Bürger, weitere 500 entkamen der Vernichtung auf irgendeine Weise, über 600 wurden deportiert und starben in Vernichtungslagern. Danach gab es keine Juden mehr in Darmstadt.

Nach dem 2.Weltkrieg trafen sich Juden, die den Holocaust überlebt hatten, in Darmstadt zunächst in Privathäusern. Es baute sich wieder eine jüdische Gemeinde auf, 1988 wurde die Synagoge eingeweiht.

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde in Darmstadt ist in den 30 Jahren des Bestehens der neuen Synagoge auf etwa 700 gewachsen – vor allem durch Zuwanderung aus Russland.

Als die Liberale Synagoge Darmstadt – dicht am alten Klinikum - 1876 eingeweiht wurde, war dies ein zentrales, herausragendes gesellschaftliche Ereignis der ganzen Stadt gewesen.

Im Oktober 2003 wurden bei Baggerarbeiten für einen Neubau im Klinikum die Überreste der Synagoge entdeckt. Die Bauarbeiten wurden gestoppt und das weitere Vorgehen in der Bevölkerung breit diskutiert. Der Magistrat der Stadt Darmstadt beschloss am 13. April 2004, an der Fundstelle eine Gedenkstätte zu errichten. Die Schaffung dieses Erinnerungsortes wurde von allen Bevölkerungsschichten getragen Die Fundamente des Thoraschreins und eines Turmes (sie entsprechen etwa einem Siebtel der ursprünglichen Grundfläche der Synagoge) wurden freigelegt, gereinigt und konserviert. Durch das künstlerische Konzept von Ritula Fränkel und Nicolas Morris werden die Funde erläutert. Am 9. November 2009 wurde der Erinnerungsort Liberale Synagoge eingeweiht.

Seit dem Jahr 2000 werden in der Bundesrepublik Deutschland Stolpersteine verlegt. Mit dem Projekt Stolperstein erinnert der Künstler Gunter Demnig an die Opfer der NS-Zeit. Vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort werden Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig eingelassen, darauf sind Name, Vorname, Jahrgang und Schicksal der betreffenden Person dokumentiert. Einigen interessierten Engländern konnten wir in der Wilhelminenstraße die Stolpersteine für die Familie Hachenburger zeigen.

Weiter führte der Weg zur neuen Synagoge. Im Zentrum der Ausführungen von Elisabeth Krimmel standen die Fenster des britischen Glaskünstlers Brian Clarke. Die Fenster wurden von Darmstädter Bürgerinnen und Bürgern gestiftet. Nicht nur die Chesterfielder waren beeindruckt.

Zwölf jeweils sechs Meter hohe Buntglasfenster prägen den Raum und sollen daran erinnern, dass am 9. November 1938 als erstes die Fenster der jüdischen Gebäude zerbarsten. Die aussagekräftigen Fenster erinnern an das Grauen der Vergangenheit (Wand des Leidens auf der Nordseite), betonen aber auch Hoffnung und Licht (Wand der Hoffnung auf der Südseite). Nach Osten befindet sich der Thoraschrein. Die Sitzreihen auf beiden Seiten des Gotteshauses sind für die Männer vorgesehen, die Frauen sitzen auf den Emporen.

Sehr interessiert zeigten sich die Gäste aus Chesterfield auch an dem kleinen Museum, in dem Ritualgegenstände, Fotos und Dokumente zur Geschichte der Juden in Darmstadt dargestellt sind.

 

Text: Sigrid Geisen
Gruppenfoto vor dem Erinnerungsort Liberale Synagoge (zum Vergrößern bitte anklicken.) : Howard Borrell