Einen ganz privaten Seitenblick auf den letzten Darmstädter Großherzog wirft die Autorin Barbara Hauck in ihrem Buch „Capriolen“, das sie im Gespräch mit Frau Neumann-Prystaj vorstellte. Was damals nur wenigen Zeitgenossen bekannt war und (möglichst) geheim gehalten wurde, ist heutzutage immer noch kaum bekannt, aber belegbar: die Männerfreundschaften und -liebschaften von Ernst Ludwig.
Dass „unser“ Großherzog (1868-1937) zu Lebzeiten so beliebt war, ist nicht verwunderlich: er war den Künsten gegenüber sehr aufgeschlossen, ein Mäzen und Poet, zudem ein volksnaher, liberaler und sehr sozial eingestellter Regent.
Bezeichnender Weise haben ihm die Darmstädter Bürger den markanten Hochzeitsturm anlässlich seiner 2. Heirat bauen lassen und ihm gewidmet. Doch gerade die Scheidung von seiner ersten Frau Viktoria Melita hat wohl in seinen homoerotischen Neigungen ihren Hauptgrund. Ein persönlicher Brief des deutschen Kaisers Wilhelm II. belegt es. In diesem fordert er, dass Ernst Ludwig sich von seiner Frau ehrenvoll trennen solle: durch Eingeständnis der eigenen Schuld. Dies ist allerdings nicht geschehen.
Die Stadtführerin und Journalistin Hauck, die sich in den verblichenen Darmstädter Adelskreisen sehr gut auskennt, fand im hessischen Staatsarchiv und dem dort verwahrten Familien-Archiv des Hauses Hessen und bei Rhein viele Belege und Hinweise; sie forschte aber auch in anderen Archiven und zeitgenössischen Publikationen.
Hier das Ergebnis ihrer eineinhalbjährigen Recherchen:
Ernst Ludwig fühlte sich schon früh zu Männern hingezogen. Während der Militärausbildung lernte er Alexander von Frankenberg und Ludwigsdorf kennen und lieben. Im Familien-Archiv findet sich ein schmuckes Heft mit eindeutigen Gedichten, die sich die beiden jungen Herren gegenseitig in Liebe widmeten; einige Gedichte sind im vorliegenden Buch abgedruckt. Eine weitere bezeichnende Widmung des Großherzog an Alexander hat sich überliefert: „Ich bete, dass wir uns im Himmel finden und ewig beieinander bleiben. Bis in den Tod und für immer danach - Dein Ernie“. - Der spätere Rittmeister Alexander wurde übrigens auf Empfehlung von Ernst Ludwig sogar der Kammerherr von Viktoria Melita…
Das schillernde Doppelleben des Großherzogs wird in überlieferten Briefen des italienischen Königs Viltor Emmanuel I. und des deutschen Botschafters in Rom von Wedel an den deutsche Kaiser beschrieben. Ernst Ludwig hielt sich nämlich vor 1900 häufig auf der Insel Capri auf und vergnügte sich mit örtlichen Fischerjungen in den bekannten Felshöhlen, was nicht unbemerkt blieb. Aber auch mit jungen Männern der Darmstädter Dienerschaft muss es intime Beziehungen gegeben haben.
Nicht alle Rätsel in diesem Kapitel des letzten Großherzogs konnten gelöst werden, aber das war nach 100 Jahren auch nicht zu erwarten. Es bleibt auch unklar, ob mit zweiten Heirat alle Männer-Beziehungen aufgehört haben, zumindest fehlen entsprechende Belege. Prinz Heinrich Donatus von Hessen, der heutige Repräsentant des Hauses, war verständlicher Weise „not amused“ über die Forschungen und die pikanten Erkenntnisse. Das konnte Frau Hauck aber nicht davon abhalten, das Buch mit dem hintersinnigen Titel „Capriolen“ zu veröffentlichen. Sie bekennt ganz offen: „Ich bereue nichts“.
Klaus-Peter Reis