Im vollbesetzten Aka-Vortragsraum gab Helmut Linke eine Einführung in einen weit gefächerten Kunststil
Datterich, Büchner und Jugendstil – auf dieses Darmstädter Trio ist jeder echte Heiner stolz. „Und mancher tut so, als sei der Jugendstil in Darmstadt erfunden worden – ist er aber nicht“, stellte Helmut Linke gleich zu Beginn seines Vortrags klar. Das Publikumsinteresse daran war groß, was sicher nicht nur am Thema, sondern auch am Fachwissen des Referenten lag. In Aka-Kreisen hat sich herumgesprochen, dass der Fachbereichsleiter für Kunst sein Wissen auch pädagogisch – und optisch – gut zu vermitteln versteht.
In vielen europäischen Ländern hat sich der Jugendstil - so genannt nach der Kulturzeitschrift „Jugend“ - eine Zeitlang durchgesetzt, und zwar unter ganz unterschiedlichen Namen: Art Nouveau in Frankreich, Modern Style in England, Stile Floreale in Italien, Modernisme in Spanien oder Neue Sezession in Österreich. Entstanden ist er als Gegenbewegung zum Historismus, also den Rückgriff auf Renaissance und Barock, oder auch gegen die Verflachung von Kunst als Folge der Industrialisierung.
Die englische „Arts and Crafts“-Bewegung, die sich gegen Massenproduktion und Qualitätsverfall richtete, forderte: Der Künstler muss wieder Handwerker, der Handwerker wieder Künstler werden. In Wien, wo die Protestbewegung „Neue Sezession“ entstanden war, lernte der Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig den Designer und Architekten Joseph Maria Olbrich kennen. Von diesem stammt ein Hauptwerk des Jugendstils, das Gebäude für die Wiener Secession (1898). Der Großherzog lud Olbrich nach Darmstadt ein. Mit weiteren Künstlern, darunter Peter Behrens, wurde die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe begründet, die heutzutage Chancen hat, in den Katalog der Weltkulturerbe-Schätze aufgenommen zu werden. Behrens wurde später Chefdesigner bei der AEG, einem der weltweit größten Elektrokonzerne, und beeinflusste das Industriedesign.
Mit vielen Lichtbildern demonstrierte Linke, wie unterschiedlich, aber stets hoch ästhetisch die Künstler den neuen Kunststil für Plakate, Tapeten, Stoffe, Grafiken, Glasmalerei, Fliesen und Plastiken weiterentwickelten. Sehr oft stehen Mann und Frau – vor allem eine idealisierte Frau mit wallendem Haarschopf – im Mittelpunkt. Auch die Frauenmode wurde vom Jugendstil beeinflusst. Auf Darmstadt schaute die Welt im Jahr 1905, als bei einer Gartenbauausstellung die Farbgärten vorgestellt wurden. Die von Bernhard Hoetger geschaffenen Löwenplastiken, die damals auf der Mathildenhöhe standen, bewachen nun die Rosenhöhe, und die Säulen, deren Kapitelle sie vorher zierten, sind inzwischen am Hochschulstadion verbaut worden. Im Original erhalten aber blieb das Häuschen für Prinzessin Elisabeth im Garten von Schloss Wolfsgarten, das Olbrich für die kleine Tochter des Großherzogs entworfen hatte.
Von Darmstadt ist es nicht weit nach Bad Nauheim. Dort kurte auch der Großherzog und investierte zwischen 1903 bis 1912 etwa 10,5 Millionen Goldmark für ein Jugendstil-Ensemble mit Sprudelhof, Trinkkuranlage, Bäderhäusern, Parks und Maschinenzentrale.
Der an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstandene Jugendstil inspirierte Art Deco, die Reform- und die Bauhaus-Bewegung. Er endete mit dem Ersten Weltkrieg.
Petra Neumann-Prystaj