Ein Abend mit der früheren Ministerin und Bundestagsabgeordneten Brigitte Zypries

Nach 20 Jahren als Berufspolitikerin hat sich die Sozialdemokratin Brigitte Zypries 2018 ganz aus der Parteipolitik zurückgezogen. „Man muss wissen, wann es gut ist aufzuhören“, sagte sie entspannt und gelassen bei einer von Heidrun Bleeck moderierten Veranstaltung von „Aka im Gespräch“ im Vortragsraum. Von Anfang an hat die Kasselänerin die Akademie 55plus aktiv unterstützt und an Diskussionsrunden über die Themen Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Jugendkriminalität und Seniorenrat mitgewirkt. „Schöne Termine“, lobte sie. „Ich kenne keinen anderen Verein, der innerhalb einer so kurzen Zeit eine so riesige Bewegung geworden ist“.

Aka-Fachbereichsleiter Werner Nüsseler hatte aus Fotos und kurzen Filmen eine kleine Rückschau zusammengestellt. Er erläuterte dem Publikum, dass die Aka Brigitte Zypries als Ehrenmitglied mit der Nummer 1000 aufgenommen hat.

„Prinzessin sein gab es bei uns nicht“, versicherte die 1953 in Kassel geborene Politikerin. Ihr Bruder und sie seien von den Eltern gleichberechtigt erzogen worden, und beide mussten im Unternehmen des Vaters, einem Drogisten, mit anpacken. Mit dreizehn nahm sie an ihrer ersten gegen die Notfallgesetze gerichteten Demonstration teil. Schon als Teenager fiel es ihr leicht, sich gegen Autoritäten und für andere einzusetzen: als Klassen-, Schul- und schließlich Stadtschulsprecherin.

Nach einem Semester gab sie 1972 ihr Germanistikstudium auf, weil die damaligen Berufschancen für Lehrer schlecht waren. Sie entschied sich für Jura und wollte in diesem Fach promovieren. Ihre Berufslaufbahn begann sie als Referentin in der Hessischen Staatskanzlei, wechselte dann an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und schließlich, 1991, in die niedersächsische Staatskanzlei. Ihr Chef, Ministerpräsident Gerhard Schröder, sei seinerzeit „nicht ganz so basta“ wie später als Kanzler gewesen, erzählte sie. Es gelang ihr, ihren Gießener Studienkollegen Frank-Walter Steinmeier, den sie als einzigen wirklichen Freund bezeichnet, nach Hannover zu holen.

Schröder förderte Zypries und drängte die Staatssekretärin, die Nachfolge der wegen einer undiplomatischen Äußerung in Misskredit geratenen Herta Däubler-Gmelin als Justizministerin zu übernehmen: „Du machst das, du kannst das“. Während der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002 leitete Zypries erfolgreich den Krisenstab der Regierung.

Eine Anfrage des Darmstädter Echos gab ihr den Anstoß, sich 2005 in Darmstadt um das Direktmandat als SPD-Bundestagsabgeordnete zu bewerben, das sie dreimal hintereinander gewinnen sollte. Die Kasselänerin kennt Darmstadt seit Jahren, weil sie häufig bei ihren in Pfungstadt wohnenden Verwandten zu Gast ist. Der Wahlkampf, erzählte sie, habe ihr immer Spaß gemacht. Als Bundestagsabgeordnete versuchte sie, jedes Wochenende in ihrem südhessischen Wahlkreis zu verbringen und bot außer Sprechstunden Wanderungen an, um in Kontakt mit ihren Wählerinnen und Wählern zu bleiben.

Ihre Karriere beendete sie als Wirtschaftsministerin. Ohne Groll und Bitterkeit schied sie 2018, als sich die Große Koalition nach langen Verhandlungen einig geworden war, aus dem Kabinett aus. „Demokratie ist Macht auf Zeit,“ sagt sie pragmatisch. Das entspricht ihrem Denken und Handeln: rational, kompetent, uneitel. Deshalb hatte sie auch einen guten Draht zu Angela Merkel: „Wir agieren ähnlich“. Allerdings hat sie sich mit der Kanzlerin in ihrer Zeit als Ministerin nur einmal zum Essen getroffen. Seit ihrem Rückzug aus der Politik melden sich manche Menschen nicht mehr bei Brigitte Zypries, offenbar, weil sie ihnen nicht mehr nützlich sein kann. Das sei eine „interessante“ Erfahrung, meint sie.

Zum Ende des Monats löst sie ihre Wohnung in Darmstadt auf. Sie will sich nur noch ehrenamtlich „auf der juristischen Schiene“ und als Ombudsfrau für verschiedene Organisationen engagieren. Zwei Ehrenämter - und natürlich die Akademie 55plus - verbinden sie weiterhin mit Darmstadt. Wenn das Kuratorium der Schader-Stiftung oder der Entega tagen, wird sie daran teilnehmen und ihre Stippvisite mit einem Übernachtungsbesuch bei ihren Verwandten in Pfungstadt verbinden.

Text: Petra Neumann-Prystaj / Foto: Werner Nüsseler