Jürgen Frohnert bei „Aka im Gespräch“

juergen frohnert 120Zur Zeit gibt es im internationalen Vergleich in Deutschland rund 3,4 Millionen Pflegebedürftige, von denen rund ein Viertel in vollstationären Pflegeheimen betreut wird. In dreißig Jahren – 2050 – soll sich diese Zahl laut Statistik auf 5 Millionen erhöht haben. Wie sind wir für diese Herausforderungen gewappnet? Wer wird das alles bezahlen? Und was kommt auf den einzelnen zu?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich Jürgen Frohnert, gelernter Pflegewirt, Geschäftsführer des DRK Darmstadt und seit vielen Jahren Vorsitzender der Fachkonferenz Altenhilfe in Darmstadt.

In seiner Einführung erläuterte Moderator Peter Wagener, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine der höchsten Lebenserwartungen habe. Es geht uns offensichtlich sehr gut, aber wie wird es sein, wenn der von jedem Älteren gefürchtete Ernstfall eintritt und man pflegebedürftig wird? Wo möchte man dann leben?

Jürgen Frohnert zitierte eine Umfrage mit überraschendem Ergebnis: Fast 90% der Befragten möchten in den eigenen vier Wänden gepflegt werden. Das aber ist wohl kaum zu realisieren, denn die Situation ist derzeit so, dass zwar zu Hause immerhin noch 52% der Betroffenen gepflegt werden, jedoch ein Viertel der Betroffenen sich inzwischen im vollstationären Pflegedienst befindet. Ein weiteres Viertel wird zwar im eigenen Heim, aber mit Hilfe von professionellen Pflegediensten betreut. Tendenz steigend, denn die Angehörigen sind immer seltener in der Lage, die Mutter oder den Großvater zu betreuen, sei es, weil sie selbst durch die eigene Familie und Berufstätigkeit eingespannt sind oder schlicht zu weit weg wohnen.

Was aber ist zu tun, wenn das Modell „Angehörigenpflege“ zwar hoch erwünscht, aber nicht mehr praktikabel ist? Was ist die zweitbeste Möglichkeit? Was wünschen sich die Patienten in diesem Fall? Auch hierfür gibt es Untersuchungen. Ganz wichtig, so hat sich herausgestellt, ist es, von einem kleinen Team betreut zu werden, von Helfern, die genügend Zeit für den einzelnen haben, die gut Deutsch sprechen. Und: Man möchte im gleichen kulturellen Hintergrund bleiben. Ob dieser Wunsch auch noch in den kommenden Jahren so bestehen bleibt, wenn die Generation „Weltoffenheit“ in die Pflegeheime einzieht, bleibt abzuwarten.

Wie sieht es nun aber konkret in Darmstadt aus? Welche Möglichkeiten gibt es, wenn der Pflegefall eintritt? Erster Ansprechpartner sollte immer der Pflegestützpunkt sein, bei dem es eine umfassende Beratung gibt. Wenn der Patient nicht zu Hause betreut werden kann, bieten sich verschiedene Alternativen:

  • Etwa 30 ambulante Pflegedienste kommen ins Haus
  • 2 Einrichtungen bieten Tagespflegeplätze an
  • 3 Wohngemeinschaften für Demente unterstützen die speziellen Bedürfnisse
  • 12 vollstationäre Einrichtungen verfügen über 1189 Plätze, davon sind 59 für Kurzzeitpflege vorbehalten
  • 3 ambulante Hospizdienste und 2 Palliativteams kümmern sich um Patienten im letzten Lebensabschnitt

In den letzten Jahren haben außer den professionellen Dienstleistern immer mehr Initiativen Ideen entwickelt, pflegebedürftige Personen im Quartier zu halten und zu betreuen. „Hiergeblieben“ in Kranichstein ist ein solches Modell. Um erfolgreich zu sein, braucht es einige Voraussetzungen:

  • einen Tagespflegestützpunkt im Quartier
  • die Nähe zu Arztpraxen und Apotheke
  • eine Begleitung im Alltag
  • gute Einkaufsmöglichkeiten vor Ort
  • einen öffentlichen Mittagstisch
  • ein Nachbarschaftscafé

Noch ist nicht alles erreicht in Kranichstein, aber man ist dort auf einem guten Weg. Ist dies das Modell der Zukunft? Sicher nicht für alle, aber doch für viele, vor allem, wenn man sich weitere Zahlen anschaut:

Pflegekräfte fehlen – auch aufgrund der schlechten Bezahlung – überall. Man rechnet bis 2030 von einem Ersatzbedarf von über 60 %. Das ist das eine. Das andere aber ist: Stationäre Pflegeplätze sind teuer. Mehr als 2000 € monatlich muss der Pflegebedürftige aus eigener Tasche bezahlen. Bis vor kurzem mussten die Kinder den Rest aus eigener Tasche finanzieren, wenn es bei den Eltern nicht reichte. Das ist seit kurzem geändert. Erst ab einem Jahresverdienst von 100.000 € werden sie jetzt herangezogen. Das ist für die Pflegebedürftigen eine große Erleichterung. Allerdings bleibt weiterhin die Frage, wer die Kosten bezahlt. Wenn das Vermögen aufgebraucht ist – dazu gehört auch das eigene Häuschen – muss Sozialhilfe beantragt werden. Das aber ist für viele Menschen, die immer gearbeitet haben, unvorstellbar.

Welche Möglichkeit gibt es, dieses Problem sozialverträglich zu lösen? Jürgen Frohnert plädiert für eine Bürgerpflegeversicherung, die aus Steuern finanziert würde. Dieses Modell gibt es schon in Skandinavien und es ist recht erfolgreich. Wenn dann auch noch die Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessert würden, könne jeder Mensch unbesorgter in die Zukunft als potentieller Pflegefall schauen.

Heidrun Bleeck