Eine spannende Entdeckungstour durch Alt-Sachsenhausens historischen Kern
Sachsenhausen – wer würde da nicht sofort an die unzähligen Apfelwein-Wirtschaften denken, die ihre Gäste mit Fleischportionen im XXXL-Format beglücken, deftig im Geschmack aber erstaunlich zivil im Preis. Soweit zutreffend. Nach der zweistündigen Führung mit dem Kunsthistoriker Thomas Huth, der nebenberuflich Allrounder in Sachen Literatur, Kommunalpolitik, Sprachwissenschaft und last but not least Klatsch und Tratsch ist, hatte sich das Bild von „Dribbdebach“ bei den Aka-Teilnehmern jedoch ganz entschieden erweitert. Zu verdanken hatten sie das Adele Daily, die den spannenden Trip organisiert hatte.
Los ging es an einem historischen Punkt: der Trennungslinie zwischen Nord- und Süddeutschland, denn um die soll es sich ja beim Main handeln, und ganz besonders kann man dieses Erlebnis bei einem Gang über den Eisernen Steg verspüren – wenn man den geografischen Zusammenhang denn kennt. Wenn nicht, tröstet man sich einfach mit dem Spruch „Hin geht man nach Sachsenhausen, zurück kehrt man mit Haxensausen“. Da die Aka-Gruppe am helllichten Tag unterwegs war, konnte der Wahrheitsgehalt nicht überprüft werden, aber angesichts der vielen Wirtschaften, die abends nach Aussage von Thomas Huth, rappelvoll sind (trotz Corona), glauben wir ihm aufs Wort.
Unser Stadtführer, das sei gleich gesagt, gab uns einen sehr realistischen Einblick in diesen Stadtteil, zeigte uns die liebenswerten, aber auch die schmuddeligen Seiten des Viertels und nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er Fehlentwicklungen aufzeigte, die sich besonders jetzt, während der Coronakrise verstärkt zeigen. War das Viertel früher – als die amerikanischen Soldaten in großer Zahl die Apfelweinlokale besuchten – ein touristischer Hauptanziehungspunkt, so ist nach dem Weggang der US-Army ein großer Einbruch passiert. „Das Viertel ist umgekippt“, sagt Thomas Huth, viele Wirtschaften gingen in Konkurs, eine Shisha-Bar nach der anderen öffnete und veränderte den Charakter von Alt-Sachsenhausen. Alte Häuser verfielen, neue, schicke Eigentumswohnungen wurden gebaut. Neben einem hochmodernen Haus steht eine verlassene „Ami-Ritterburg“. An der, so Huth, sei nur der Taubenschiss echt. Die Stadt versucht gegenzusteuern, hat Renovierungskonzepte entwickelt, die aber noch nicht umgesetzt wurden, weil der Widerstand einiger Hausbesitzer zu groß sei. Aber auch dort, wo die Stadt selbst entscheiden könne, zum Beispiel beim „Paradieshof“, herrsche Stillstand. Dabei gab es pfiffige Ideen: Michael Quast sollte mit einem Mundarttheater dort einziehen, ein Plan, der schnell aufgegeben wurde. Chancen gab es dann für die „European School of Design“, die dort einen Kreativstandort eröffnen wollte. Aber auch dieser Plan wurde gestoppt und es herrscht wieder mal Stillstand im leeren Gebäude. Gegenwärtiger Zustand: Abwarten…. Hier ist schon so viel passiert, da muss man einen langen Atem haben. Also:
Zurück in die Vergangenheit!
Sachsenhausen, der Name klingt – richtig – nach Karl dem Großen, der ja bekanntermaßen unzählige Angehörige dieses Stammes abschlachten ließ, weil sie sich der neuen Religion partout verweigerten. Angeblich soll er nach dem Blutgericht von Verden 782 Sachsen am Main angesiedelt haben. Vom Flüsschen Aller im kalten Norden an den großen Main, das wäre ja eine echte Belohnung gewesen. Leider gibt es dafür aber überhaupt keine Belege und somit bleibt der Name weiterhin ein großes Geheimnis und wird sicher noch eine ganze Reihe von Linguisten beschäftigen.
Erwähnt wurde Sachsenhausen zum ersten Mal in der Schenkungsurkunde Heinrich VI im Jahre 1193. Damals schon gehörte es zu Frankfurt, wobei es auch bleiben sollte und beide besaßen eine gemeinsame Stadtmauer mit neun Türmen. Im Jahre 1346 ereignete sich dann das schlimmste Hochwasser, die „Magdalenenflut: Bis zur Zeil stiegen die Fluten, 7,85 Meter
hoch war der Pegelstand. Es war eine Überschwemmungskatastrophe, wie man sie nie vorher erlebt hatte. Dazu der Bericht einer Chronik:
„Am dritten Tag vor Maria Magdalena biß auf ihren tag ist der Meyn so groß gewesen, daß das waßer ganz und gar um Sachsenhausen ist gangen und zu Frankfurt in alle kirchen und gaßen.“
Ziemlich berühmt bei Historikern ist Sachsenhausen als Zentrum des Deutschen Ordens. 1221 übernahm er das „Münzenbergische Spital“ und machte es zu einem hoch angesehenen Ort. Die Ordensbrüder waren aber nicht nur bei Gottesdiensten tätig, sondern betreuten auch Kranke, Arme, Fremde und Pilger, und außerdem errichteten sie ein „Spital für venerisch erkrankte Dirnen“. Nach dem Vorbild der Pariser St. Chapelle errichtete man eine spektakuläre Kirche, die nach der Reformation als Refugium für die verbliebenen Katholiken im ansonsten katholischen Frankfurt war. Inzwischen ist der Hauptsitz des Deutschen Ordens allerdings das Städtchen Weyarn in Bayern. Profaner Grund des Umzuges: Im Lande Bayern wurde Steuerfreiheit gewährt.
Weitere markante Stellen, die einen Besuch lohnen:
- Der Brickegickel, das Wahrzeichen der Alten Brücke. Dort wurden im Mittelalter Verbrecher ertränkt, da hier die tiefste Stelle des Mains war und die starke Strömung die meisten so weit trieb, dass sie nicht mehr auf Frankfurter Gemarkung angetrieben wurden und also nicht dort beerdigt werden mussten.
- Die große Rittergasse: Im 13. Jahrhundert ließen sich hier die Familien von Reichsrittern nieder. Ihre Aufgabe bestand darin, die Frankfurter Pfalz und die Reichsgüter des Wildbanns Dreieich zu verwalten.
- Der Kuhhirtenturm war ursprünglich ein Wehrturm in der Stadtmauer. Da die Soldaten damals nicht lesen konnten, musste man den Türmen Namen geben, damit sie sie wiederfanden. Später wurden Wohnungen darin errichtet. Der berühmteste Bewohner war Paul Hindemith, der dort seine Oper „Cardillac“ komponierte. Seinen Flügel übrigens ließ er von einem Kran ins Haus heben nachdem zuvor das Dach vorübergehend entfernt worden war.
- Die Dreikönigskirche ist die größte evangelische Kirche in Frankfurt. Dreimal wurde sie vom Maler Max Beckmann in seinen Bildern verewigt.
- Das Steinern Haus ist, wie man unschwer erraten kann, das älteste Steinhaus – Baujahr 1464. Im Untergeschoss verbirgt sich ein Musikkeller, der Kultstatus hat, aber leider so wenige Plätze, dass man dicht zusammenrücken muss. Momentan also, na ja, Sie wissen schon…
- Die Rittergasse war, wie schon der Name sagt, der Zugang zu den Häusern von Adligen, die sich damit beschäftigten, sowohl die Frankfurter Pfalz als auch die Reichsgüter des Wildbanns Dreieich zu verwalten, also: Geld einzutreiben.
Zwei wichtige Dinge aus der Kulinarik, die man wissen sollte:
- Der Handkäs wurde früher nur mit einem Messer – ohne Gabel gegessen, da die armen Leute sich nur ein Besteckteil leisten konnte.
- Die Frankfurter „Grie Soß“ war ursprünglich ein originales Sachsenhäuser Gewächs, denn in den Feldern vor den Toren des Städtchens wurde zwar ursprünglich Wein angebaut, dessen Tage allerdings gezählt waren, als eine gewissen Laus ihr Unwesen trieb. Daraufhin wurde die Frischkräutermischung der neue Hit, nachdem ein Pumpwerk echtes Mainwasser lieferte.
Ein Sachsenhäuser Original, das man kennen sollte: Frau Rauscher.
Hier ihr Lied:
Die Frau Rauscher aus der Klappergaß
die hat e Beul am Ei.
Ob‘s vom Rausche,
Ob‘s vom Alte kimmt,
des klärt die Polizei.
Hintergrund des Liedes ist übrigens die Kritik an der preußischen Annektion, die mit Polizeigewalt Probleme klären wollte.
Die heutige Frau Rauscher bzw. ihr Denkmal, rächt sich nachträglich und spuckt dem neugierigen Besucher in regelmäßigen Abständen Wasser ins Gesicht.
Und was macht nun eine echte Sachsenhäuser Kneipe/ Schänke aus: Hier ist die Lösung:
1. Es gibt Bänke, keine Stühle
2. Die Bänke stehen „außenrum“, „innenrum“ wird getanzt
3. Darüber befinden sich die Kleiderhaken.
4. Die Speisekarte ist streng regional ausgerichtet.
5. Der Apfelwein wird selbst gekeltert oder von einigen wenigen Vertragspartnern.
6. Der Faulenzer ist ein Metallgefäß, in dem der Bembel hängt, sodass man ihn kippen kann.
7. Apfelwein liebt Geripptes, im normalen Glas fühlt er sich nicht wohl.
8. Der Kellner muss patzig sein, sonst fühlt der Gast sich unwohl.
Zumindest letzterer Punkt scheint aus der Mode gekommen zu sein. Unser Kellner im „Struwwelpeter“ war äußerst freundlich und erfüllte alle Senioren-Wünsche, auch den nach einem Doggy Bag fürs viel zu große Schnitzel. Milde lächelnd. Moderne Zeiten auch im Corona-gebeutelten Sachsenhausen.
Text: Heidrun Bleeck / Fotos: Roswitha Bokeloh
Wegen des großén Interesses wird der Rundgang am 24.09. wiederholt.