Prof. Dr. Martin Hambrecht, ehem. Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Agaplesion Elisabethenstift in Darmstadt berichtete in einer spannenden Präsentation über depressive Störungen im Alter. Eine Depression bezeichnet ein Krankheitsbild, bei dem Betroffene über einen längeren Zeitraum unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität leiden.
Depressionen können jeden treffen, bei älteren Menschen sind jedoch Besonderheiten in der Entstehung, im Verlauf und im Umgang mit der Krankheit zu berücksichtigen. 10% der über 75jährigen leiden an einer depressiven Erkrankung, in Alten- und Pflegeheimen sogar 20% bis 40% der Bewohner/innen.
Symptome einer Depression sind Antriebs-und Interessenverlust, Unfähigkeit Freude zu empfinden.
Depressives Verhalten zeichnet sich durch Rückzug und Passivität aus, was wiederum zu negativen Rückmeldungen und zu Misserfolgen führt. Depressionen können sich sehr unterschiedlich ausdrücken: durch körperliche Beschwerden, Schlafprobleme, Konzentrationsmangel oder gedrückte Stimmung. Bei manchen Menschen tritt die depressive Episode zu bestimmten Jahreszeiten auf (Winterdepression). Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die behandelt werden muss. Die Medizin geht von einer Mindestdauer der Beschwerden über 2 Wochen aus.
Körperliche Ursachen depressiver Symptome können Erkrankungen des Gehirns, Nebenwirkungen von Medikamenten, chronische Schmerzen, schlafbezogene Erkrankungen oder Erkrankungen des Hormonstoffwechsels sein. Eine leichte Depression wird bei 2-3 Symptomen diagnostiziert, eine mittlere bei 4 und mehr, eine schwere bei mehreren quälenden Symptomen. Symptom einer schweren Depression sind auch Suizidgedanken.
Viele Ursachen spielen bei einer Depression zusammen: Erziehung, Umwelt, Gene, Persönlichkeit, Denkmuster, belastende Lebensereignisse, dauerhafte Arbeitsbelastung, Mangel an Freundschaften. Mögliche Auslöser einer Depression können z.B. lang andauernde Überforderungen / Stress im Berufsleben sein, aber auch Arbeitslosigkeit, Beziehungsprobleme, Tod eines nahestehenden Menschen. „Zunehmende biografische und biologische Heterogenität im Alter macht allgemeine Aussagen sehr schwierig“, so der Referent. Zu den Besonderheiten im Alter gehören: Kognitive Einschränkungen können das Erkennen erschweren. Es besteht ein erhöhtes Risiko, körperlich zu erkranken.
Bei Depressionen ist der Hirnstoffwechsel verändert: Dabei sind verschiedene Botenstoffe im Gehirn aus der Balance geraten, insbesondere die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin. Hier setzt die medikamentöse Therapie an.In den meisten Fällen lassen sich Depressionen gut behandeln. Neben der medikamentösen Therapie kann auch eine Psychotherapie dazu beitragen, die Erkrankung zu überwinden. Die psychotherapeutische Behandlung hat unter anderem zum Ziel, depressive Verhaltensweisen und Denkstrukturen abzubauen und durch positive zu ersetzen. Bei der medikamentösen Behandlung einer Depression sind sogenannte Antidepressiva besonders wichtig. Diese Medikamente beeinflussen auf unterschiedliche Weise das Gleichgewicht der Hirnbotenstoffe. Der Referent betonte, dass Antidepressiva nicht die Persönlichkeit verändern und auch nicht abhängig machen.
Daneben stehen noch weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, so etwa biologische Verfahren, Soziotherapie, Entspannungsverfahren, Lichttherapie, Bewegungstherapie, Kreativtherapie. Es gilt vorhandene Fähigkeiten zu optimieren, körperliche und soziale Funktionen zu erhalten, Aktivitäten aufzubauen. Die Behandlung sollte individuell abgestimmt sein. In der Regel wird die Therapie ambulant durchgeführt, ein stationärer Aufenthalt ist nur bei akuten Lebenskrisen/Suizidgefahr erforderlich.
Angehörige sollten sich über das Krankheitsbild und die Behandlung informieren, gelassen bleiben und sich wertschätzend verhalten. Saloppe Ratschläge und beschwichtigende Appelle sind wenig hilfreich. Prof. Hambrecht fasste die Antwort in einem Sprichwort zusammen: “Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ (aus China)
Nach dem lebendigen Vortrag im vollbesetzten Vortragsraum gab es im Anschluss zahlreiche Fragen zu dem teilweise immer noch tabuisiertem Thema. Es ging es u.a. darum, wie und wo man adäquate Hilfe bekommt. Nach Möglichkeit sollte der Hausarzt/die Hausärztin immer die erste Anlaufstelle sein, so Prof. Hambrecht. Zudem gibt es viele ambulante Hilfsangebote in Darmstadt. Aufgrund der hohen Nachfrage sind Ersttermine bei psychiatrischen und neurologischen Arztpraxen jedoch oft erst nach längerer Wartezeit zu bekommen. Beratung und Hilfe findet man beim gemeinnützigen Verein "Darmstädter Bündnis gegen Depression e.V." Daneben gibt es Beratungsstellen für bestimmte Fragestellungen.
Sigrid Geisen